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Salzwiesenschafe und Antiviruskonfekt

Auch Franzosen entdecken die Schönheiten der Picardie und des Nord-Pas-de-Calais

  • Wolfgang Weiß
  • Lesedauer: 5 Min.
Antiviruskonfekt mit süßem »Klammeraffen«
Antiviruskonfekt mit süßem »Klammeraffen«

»Ein Fremder, der in den Norden kommt, weint zweimal: wenn er ankommt und wenn er wieder fährt.« Dieses Sprichwort bezieht sich auf eine Region Frankreichs, die selbst vielen Franzosen noch immer ziemlich fremd und mitunter gar unheimlich ist. Erst ein Film, der in diesem Jahr in Frankreich mit über 20 Millionen Besuchern alle bisherigen Zuschauerrekorde sprengte, rückte auch die Departements Picardie und Nord-Pas-de-Calais mehr in das öffentliche Bewusstsein und löste eine bis dahin beispiellose Sympathiewelle für das Gebiet zwischen Ärmelkanal und belgischer Grenze sowie für dessen Bewohner aus. Die werden »Ch'ti« genannt nach ihrem eigentümlichen, selbst für viele Franzosen schwer verständlichen Dialekt.

Zum Weinen schön

»Bienvenue chez les Ch'tis« (Willkommen bei den Sch'tis) heißt der Film, der seit Ende Oktober auch in deutschen Kinos zu sehen ist. Er erzählt in einfühlsamer und humorvoller Weise, wie ein zwangsversetzter Postbeamter aus der Provence in Südfrankreich seine Vorbehalte und seine Arroganz gegenüber dem Norden und den »Ch'tis« überwindet und schließlich sogar weint, als er seinen Einsatzort Bergues bei Dunkerque (Dünkirchen) nach einigen Jahren wieder verlassen muss.

Nordfrankreich, das vermittelt dieser Film, bietet dem Besucher viele Sehenswürdigkeiten, Überraschungen und neue Erkenntnisse. Die aus Emile Zolas Roman »Germinal« bekannte armselige Bergarbeitergegend verwandelt sich nach Schließung der Gruben in ein großes Freizeit- und Erholungsgebiet. Auf alten Abraumhalden, die sich als weithin sichtbare Kegel über der flachen, von sanften Hügeln durchzogenen Landschaft erheben, sind zum Beispiel Skianlagen entstanden. Die einst unwegsame Moorlandschaft um Clairmarais bei St. Omer, die ein wenig an den Spreewald erinnert, kann man heute mit Motorbooten, Ruderkähnen oder Kanus erkunden. Auf kleinen, von Wassergräben und Kanälen begrenzten Landflächen, bauen hier 40 Bauern (1950 waren es noch 400) Gemüse wie Blumenkohl, Artischocken oder Chicorée an.

Nordfrankreich, so verrät uns der »Grand Maître de la Confrérie de l'Endive de France« (Großmeister der Chicorée-Bruderschaft von Frankreich) Michel Theret, ist der größte europäische Produzent dieser Gemüsesorte.

Genever zum Aperitif

Eine Entdeckung ganz anderer Art kann der Besucher an der Küste von La Manche, wie in Frankreich der Ärmelkanal genannt wird, machen. Hier, an der Mündung der Somme, hütet Roland Mointrel seine Salzwiesenschafe. Die Grasflächen im Wattgebiet werden bei Flut immer wieder überschwemmt und bekommen so einen hohen Salzgehalt. Das Fleisch der Schafe, die sich ausschließlich davon ernähren, ist magerer und schmackhafter als das ihrer Artgenossen im Inland und gilt in Frankreich als eine ausgesprochene Delikatesse, die auch entsprechend viel kostet. Um das AOC-Herkunftszertifikat zu erhalten, so erläutert Roland Mointrel, müssen eine Reihe strikter Regeln eingehalten werden. Dazu gehört, dass ein Lamm nur als Salzwiesenschaf anerkannt wird, wenn seine Mutter mindestens 200 Tage dort geweidet hat. Roland Mointrel ist einer von insgesamt noch vier Salzwiesenschäfern, die es in Frankreich gibt. Sie produzieren zusammen jährlich rund 40 Tonnen des begehrten Fleisches.

Als Aperitif auf Eiswürfeln, zwischen den Gängen einer Mahlzeit oder als Digestif nach einem Salzwiesenlamm-Menu eignet sich ein Getränk, das in Frankreich nur noch von zwei Privatbrennereien nach alten Rezepten produziert wird: der Genever oder »Genièvre«, wie er hier genannt wird. In der Distillerie Persyn in Houlle an der Straße nach Calais erklärt Firmenchef Jean-Noël Persyn die Herstellung dieses hochprozentigen Getränks, das aus Malzgerste, Roggen und Hafer gebrannt wird und dem in einer dritten Destillationsstufe Wacholderbeeren zugesetzt werden, die dem Genever seinen unverwechselbaren Geschmack verleihen. Der »carte noir«, mit 49 Prozent Alkoholgehalt der stärkste »Genevière« aus Houlle, muss drei Jahre in Limousineichenfässern aus Cognac reifen. Durch Verdunstung, weiß der Firmenchef, entsteht immer ein gewisser Schwund, der hier »La parte des anges«, der Anteil der Engel, genannt wird. Die Hauptkonsumenten des Genever kommen aus der Region, wobei die »Ch'tis« den Hochprozentigen auch schon mal direkt aus der Tiefkühltruhe und ohne besonderen Anlass konsumieren.

Wer als Nachtisch zum Kaffee lieber etwas Süßes mag, ist bei Yvon Berthelot im picardischen Noyant an der richtigen Adresse. Hier, an der Place de l'Hôtel de Ville, zieht schon von Weitem ein verführerischer Duft die Kunden an.

Süßes aus Künstlerhand

Monsieur Berthelot versteht sich als Chocolatier als Handwerker und Künstler. Sein Rüstzeug hat er in der Schweiz gelernt, »wo in jedem Dorf gute Schokolade gemacht wird«, wie er sagt, und seine Kenntnisse später in Paris weiterentwickelt. Heute gehört er zu den bekanntesten Chocolatiers Frankreichs. Er verkauft seine Produkte auch ins Ausland, von Madrid bis Hongkong, und stellt auf internationalen Messen aus. Für Staatspräsident Sarkozy hat Yvon Berthelot im vergangenen Jahr einen großen Schokoladen-Nikolaus gemacht und ihn dann persönlich im Elysée-Palast überreicht. Sein jüngstes Produkt, das gerade erst in den Handel kommt, nennt sich »Antivirus« und ist eine Pralinenmischung, in deren Mitte sich ein großes @-Zeichen aus Schokolade befindet.

Der Umsatz des kleinen Handwerksbetriebes mit zwölf Mitarbeitern steigt von Jahr zu Jahr. Meister Berthelot kauft selbst vor Ort den Kakao ein, in Peru, São Tomé oder Madagaskar, und vergleicht seine Produkte auch ständig mit denen der Konkurrenz, die er vor allem in der Schweiz und Belgien sieht. Französische Schokolade, und da ist er sich ganz sicher, gehört im Geschmack zu den Besten. Und da steht oft Berthelot drauf.

Infos: Französisches Fremdenverkehrsamt, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt am Main, Tel.: (0900) 157 00 25, Fax: (0900) 159 90 61, E-Mail: info.de@franceguide.com; www.franceguide.com/de

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