»Die Leute sollen mich verstehen«

Jan Josef Liefers über die Naivität des Auges, Stimmfacetten und die Kunst, glaubwürdig ein Bier zu bestellen

  • Lesedauer: 4 Min.
Im Animationsfilm »Madagascar« von Eric Darnell und Tom McGrath und in seiner Fortsetzung, die jetzt in unseren Kinos läuft, synchronisiert Jan Josef Liefers einen sprechenden Löwen. Alex heißt die Figur. Mit weiteren drei New Yorker Zootieren landet Alex in einem afrikanischen Tierreservat und trifft dort seine Eltern wieder. Der vielseitige Schauspieler und Sänger, geboren 1964 in Dresden, gab 1989 sein Schauspieldebüt mit »Die Besteigung des Chimborazo« von Rainer Simon. Vor allem als Gerichtsmediziner Boerne im »Tatort« wurde er auch zum Fernsehstar.

ND: Herr Liefers, versuchen Sie eigentlich, die deutsche Sprache zu retten?
Liefers: Wie kommen Sie denn darauf?

Wenn Sie spielen, sind Ihre Satzenden meist hörbar, die Sprachmelodie ist klar und frei von regionaler Färbung.
Ich habe mir da nichts auf die Fahnen geschrieben, aber vielleicht ist mir unbewusst an Klarheit gelegen. Ich bin ja in einer Theaterfamilie groß geworden, wo Sprache eine besondere Rolle hatte.

Den Dresdner hört man Ihnen jedenfalls nicht an.
Weil ich von klein auf viel unterwegs war; mein Vater lebte ja in Berlin. Aber wenn ich heute alte Kumpels in Dresden treffe, rutsche ich schnell in die alte Mundart hinein. Ich könnte das Gespräch jetzt in tiefstem Sächsisch fortführen, aber der Dialekt wurde bei uns zu Hause nie gepflegt. Dieser Gegensatz hat es mir womöglich erleichtert, Sprachfärbungen ablegen zu können. Ich halte jetzt keine Brandrede gegen die Verlotterung der Sprache, mir ist aber wichtig, dass die Leute verstehen, was ich sage. Auf der Bühne wie vor der Kamera und auch bei der Musik. Professor Boerne im »Tatort« besticht durch seine prononcierte Eloquenz, die Teil seiner Gestaltung als Wissenschaftler ist. Dem Löwen Alex in »Madagascar« ist nicht sonderlich an sprachlicher Reinheit gelegen.

Was liegt Ihnen denn mehr: Die Sprache eines Geistesmenschen oder einer Comicfigur?
Keins von beiden, dafür sind sie zu verschieden. Ich spiele vor allem dialogfreudige Menschen. Das prägt. Und meine Band sagt auch oft, meine Texte seien immer so deutlich zu verstehen.

Bedeutet der Klang eines Satzes so viel wie dessen Sinn?
Sie ist zumindest extrem wichtig, denn das Gehör ist von allen Sinnesorganen am schwersten zu überlisten. Es ist leicht, dem Auge vorzugaukeln, ich laufe über Stahl, wenn eine Holzplatte entsprechend lackiert ist. Sobald der Ton hinzukommt, sagt das Ohr: Betrug! Deswegen ist das Sounddesign bei Filmen so bedeutend, weil es die eigentliche Illusion erzeugt. Die Tonart eines Films, der Tonfall seiner Protagonisten ist viel entscheidender für die Glaubwürdigkeit einer Story als deren Bildsprache. Wenn jemand ein Bier bestellt, könnte ich ihn an der Sprache als Weintrinker entlarven. Bei der Gestik wäre das schon schwieriger.

Wie, bitte, bestellt ein Weintrinker Bier?
(lacht) Sorry, das kann ich nicht ohne Weiteres abrufen, weil diese kleine Sequenz natürlich auch zur Konstruktion einer Figur gehört. Aber es ist sicher nicht leicht, glaubwürdig ein Bier zu bestellen. Der große Unterschied zwischen Theater und Film ist ja, dass man sich in Letzterem nicht anmerken lässt, ein Schauspieler zu sein. Jim Carrey lässt in seinen Nummern nie Zweifel daran, dass er grad eine Show abzieht.

Wenn Sie als Synchronsprecher arbeiten, ist Ihre Stimme auf sich gestellt. Agiert man hinter einem Mikrofon dennoch wie ein Schauspieler?
Ich muss das sogar, weil mir jegliche Routine in diesem Fach fehlt. Synchronisation ist eine ganz eigene Kunstform und ich habe enormen Respekt vor denen, die das beherrschen. Man kann ja mit Synchronisation viel Verständnis schaffen, aber noch mehr zerstören. Gut möglich, dass sie die hektischste Szene in körperlicher Ruhe vertonen, aber ich weiß mir oft gar nicht anders zu helfen, als gnadenlos alles mitzuspielen, was da auf der Leinwand passiert.

So gesehen war »Madagascar« Schwerstarbeit.
Gerade auf dem Energielevel! Die brüllen, toben, springen, machen Dongdong und Bängbäng, ohne Punkt und Komma. Das ist schwer zu bewerkstelligen, wenn ich körperlich regungslos bin. Sprache ist eben mehr als Semantik. Was deinen Sympathikus anspricht, deine Alarmglocken schrillen lässt, steht zwischen den Zeilen. Der Gruß lautet »Guten Tag«, aber heißt es nicht doch »Verpiss dich, du Arschloch«? Jeder Student, jede Fleischverkäuferin, jeder Dachdecker hat dieses Gespür.

Reine Menschenkenntnis …
Genau. Wir kommunizieren Tag für Tag, heucheln, täuschen Mitleid vor, lachen falsch. Mit diesen Grauzonen müssen wir als Schauspieler arbeiten und uns im Grunde auf ein kindliches Niveau zurückbringen, um nicht einfach zu lügen, sondern darzustellen. Kinder tun im Spiel so, als ob. Das ist kein Lügen, das ist Nachmachen. Spielen im klassischen Sinne.

Sie setzen Ihre Stimme auf vielen Ebenen ein: im Film, auf der Bühne, als Sänger, Laudator, Synchronsprecher. Welche Berührungspunkte gibt es da?
Vor allem energetische. Beim Singen kommt es auf mehr an, als Töne zu treffen, aber wenn man immer danebenliegt, klingt es scheußlich. Warum man Mick Jagger unentwegt schief singen darf, hat also mit Energieübertragung zu tun. Jede künstlerische Äußerung vor Publikum, auch im Film, ist ein Phänomen von Kraftfeldern. Aus dem Imperfekten ziehen wir unseren Gewinn, vor der Perfektion haben wir zunächst Ehrfurcht.

Sie würden sich also nicht als guten, sondern leidenschaftlichen Sänger bezeichnen.
Das trifft es auf den Punkt. Entscheidend ist nicht, dass die Leute sagen, »Gott, sind Sie ein toller Sänger«. Oder Schauspieler. Oder Laudator. Sondern: »Gott, war das ein geiler Abend!«

Fragen: Jan Freitag

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