nd-aktuell.de / 08.12.2008 / Politik / Seite 2

Ohne Visionen

Tagesinteressen verhindern gemeinsame Lösungen für die Zukunft

Susanne Götze
Die Klimaverhandlungen in Poznan kommen nicht in Gang. Wieder einmal sind es besonders die Industrieländer, die sich nicht auf konkrete Maßnahmen und Ziele festlegen wollen. Doch noch ist alles möglich, hoffen Umweltschützer und Beobachter von Nichtregierungsorganisationen (NRO).

Schon nach wenigen Tagen der Klimakonferenz in Poznan kamen die ersten Hiobsmeldungen. Immer mehr Teilnehmer, darunter auch der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel, bezweifeln mittlerweile, dass es auf dem Treffen noch zu bahnbrechenden Fortschritten im Post-Kyotoprozess kommen könnte. Vertreter aus rund 190 Staaten tagen seit dem 1. Dezember im polnischen Poznan, um innerhalb von zwei Wochen einen gemeinsamen Nenner für den Nachfolgevertrag zum Klimaschutzprotokoll von Kyoto zu finden, das 2012 ausläuft.

Insgesamt werden fünf verschiedene Bereiche beraten: die Reduktion der Treibhausgase, Anpassungsstrategien an den Klimawandel, Technologietransfer, Vermeidung von Entwaldung sowie Fragen der Finanzierung. Doch gerade Letzteres verkompliziert die ohnehin schon sehr angespannte Lage. »Für viele Teilnehmer steht der Klimaschutz nun an zweiter Stelle. Zuerst kommt die Bekämpfung der Finanzkrise«, berichtete Klaus Milke, Vorsitzender von Germanwatch, aus Poznan gegenüber ND. Dabei ließen sich Klimaschutz und Finanzkrise sehr gut verbinden, indem man in den ohnehin notwendigen Konjunkturprogrammen entsprechende Anreize setzt.

Hoffnung schöpft man in Poznan vor allem aus den Ankündigungen des frisch gewählten US-Präsidenten. Dagegen dämpften die EU und Deutschland in der letzten Woche die Stimmung auf der Konferenz. Die ehrgeizigen Ziele, die letztes Jahr auf der Klimakonferenz in Bali von der damaligen Ratspräsidentin Angela Merkel verkündet wurden, stehen nun auf wackligen Füßen. »Die EU hatte sich auf eine CO2-Reduktion von mindestens 20 Prozent und bis zu 30 Prozent geeinigt. Doch von den 30 Prozent wird mittlerweile überhaupt nicht mehr gesprochen«, so Konferenzbeobachter Milke.

Auch die rückwärtsgewandten Haltungen in der Energiepolitik wie von Gastgeber Polen und auch Italien sowie die industriefreundliche Politik der Bundeskanzlerin kommen in Poznan nicht gut an. »Wenn die EU schwächelt, werden auch die anderen Ländern einen Rückzieher machen«, glaubt der Germanwatchvertreter.

Zurückhaltend sind die Industrieländer insgesamt, wenn es um konkrete finanzielle Zusagen für die Anpassungsmaßnahmen vor allem in Entwicklungsländern geht. Zwar würden die reichen Länder zugeben, dass Hilfen dringend notwendig seien, so Jan Kowalzig, der für die entwicklungspolitische Organisation Oxfam die Verhandlungen beobachtet. Aber sie seien nicht bereit, ein politisches Signal zu geben und sich festzulegen. Dafür sei es aber höchste Zeit: In den im Kyotoprotokoll angelegten Anpassungsfonds befänden sich derzeit weniger als ein Prozent der Gelder, die man in den kommenden Jahren voraussichtlich für die Bekämpfung der Klimafolgen brauchen wird. Die Gelder, die bis jetzt vorhanden sind, seien jedoch nur Zertifikate aus CDM-Projekten (Clean-Development-Mechanism), die erst verkauft werden müssten.

Dabei entwickeln viele Schwellen- und Entwicklungsländer in Poznan sehr großes Interesse am Klimaschutz. Länder wie Südafrika, Mexiko und Südkorea haben sogar schon eigene Klimaaktionspläne aufgestellt. »Viele südliche Länder überschlagen sich gerade mit der Ankündigung immer neuer und ambitionierterer Klima- und Energiepläne«, so Oxfam-Vertreter Kowalzig. Doch leider würden auch hier die Industrieländer nicht mitziehen.

Sie hatten versprochen, eben jene Länder mit Technologie und Geldern in ihren Vorhaben zu unterstützen. Doch dazu seien die Industrienationen nun nicht bereit, schimpft Kowalzig. Er glaubt aber, dass der Knoten in der zweiten Woche noch platzen könnte. Der Oxfam-Vertreter hofft, dass sich die Staaten letztendlich doch noch auf einen Entwurf einigen, der in den kommenden Verhandlungen in Kopenhagen als Diskussionsgrundlage dienen könnte.

Auch Germanwatchbeobachter Klaus Milke hat noch nicht alle Zuversicht fahren lassen. Im besten Falle werde man sich auf gemeinsame Ziele einigen. Hier sollte wenigstens ein politisches Signal von den Industrieländern ausgehen. Diese sollten sich mindestens 25 bis 40 Prozent CO2-Reduktionen bis 2020 vornehmen. Konkrete Maßnahmen würden wohl kaum zu Stande kommen.

Wie verzweifelt die Stimmung derzeit ist, zeigen die Berichte und Reaktionen auf die Arbeitsgruppen, in denen man sich über gemeinsame Visionen über 2020 hinaus verständigen sollte. In diesen Treffen habe jeder nur seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt, meint Milke. Aus Wut über die tragikomischen Treffen hat das NRO-Magazin »Eco« in der vergangenen Woche die Titelseite seines täglichen Newsletters unter der Überschrift »Shared Vision« weiß gelassen.