In der Haut der anderen

Malorie Blackman: Himmel und Hölle, ein wunderbarer Jugendroman

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein rasanter, spannender, mitreißender, faszinierender, bewegender, historischer, aktueller, fantasievoller Roman. Die Adjektive der Begeisterung reichen kaum, um Malorie Blackman für ihr bereits 2001 im Original und nun auf Deutsch erschienenes Jugendbuch zu loben.

»Himmel und Hölle«-Autorin Blackman ist eine der bekanntesten britischen Schriftstellerinnen. Ihre Geschichten wurden verfilmt und mit Preisen ausgezeichnet. Sie ist schwarz. Und wehrte sich lange gegen die Erwartung, sie müsse deshalb über Rassismus schreiben. Doch ein Thema ließ die begnadete Erzählerin nicht los. Und so entstand, nach 50 Romanen zu anderen Themen, ein Zyklus, der die Geschichte der Zeros und Alphas in einer Gesellschaft erzählt, die ebenso meine und deine sein könnte.

»Himmel und Hölle«. Zeros, von den Alphas verächtlich »Gumbos« genannt, sind arm, ungebildet und chancenlos. Ihre Befreiungsarmeen verüben Terroranschläge und entführen Ministerkinder. Wer gefasst wird, landet am Galgen. Auch wenn die Schuld nicht bewiesen werden kann. Zeros sind ... weiß! Arbeitslos, Unterschicht, Dienstboten der reichen Oberschicht, die ihre Kinder auf rein schwarze Schulen schickt, in schönen Villen lebt, Macht hat.

»Himmel und Hölle«. Die Welt in der Callum und Sephy aufwachsen, ist rassistisch, ungerecht und sehr real. Doch Malorie Blackman stellt sie auf den Kopf – und macht sie damit noch viel wirklicher. »Ich möchte wirklich nicht in deiner Haut stecken«, bekommt einen ganz anderen Klang in dieser Geschichte, die abwechselnd aus der Perspektive der 14-jährigen Sephy und des 16-jährigen Callum erzählt wird. »Ich werde nie in deiner Haut stecken«, erkennen beide am Ende. »Und trotzdem liebe ich dich.«

»Himmel und Hölle«, von den Lesern der »Times« zu den »100 Lieblingsbüchern aller Zeiten« erklärt, ist Blackmans literarische Auseinandersetzung mit der Sklaverei und ihren Folgen. Liebe, Leidenschaft, Betrug, Intrige, Wut, Tod, Terror, Hass und Hoffnung beherrschen die Welt der beiden Jugendlichen, die eine moderne und sehr zärtliche Romeo-und-Julia-Romanze leben. Geeint im Widerstand gegen eine Gesellschaft, in der das, was sie fühlen, nicht sein darf, versuchen sie, zwischen den Extremen ihren Weg zu finden. Callum ist konfrontiert mit der selbstzerstörerischen Verzweiflungstat seiner Schwester Lynette und dem zornigen Terror seines ebenso verzweifelten Bruders Jonathan, Sephy versucht, ihre Würde in ihrer wohlhabenden, doch zerrütteten Familie zu wahren: ihr Vater, der korrupte Minister, ihre Mutter, alkoholkrank und leergelebt.

»Himmel und Hölle« ist, was man im Englischen einen »pageturner« nennt. Jede Menge Action, man mag nicht aufhören zu lesen und ist gleichzeitig überrascht, dass es immer weiter geht, in unglaublicher Geschwindigkeit und mit immer neuen Ideen und Wendungen. Nur an einer Stelle übrigens wird die Hautfarbe der Protagonisten explizit erwähnt. Erst als ein Zeromädchen darüber klagt, dass es keine rosafarbenen (wir Weißen sagen »hautfarbenen«), sondern nur dunkle Pflaster gibt, ist klar: Hier wird uns der Spiegel vorgehalten. Die Welt – seitenverkehrt!

»Himmel und Hölle« lässt sich aber auch als Roman lesen, der gesellschaftliche Spannungen jenseits der Hautfarbe thematisiert. Malorie Blackman berichtet von Leserzuschriften aus Irland. Dort sieht man die »Gumbos« und »Honks« als Katholiken und Protestanten. Bei einem Gespräch in Berlin im vergangenen September sagte sie allerdings, dass viele ihrer eigenen Kindheitserfahrungen in Callums Geschichte eingeflossen seien, und viel von dem Schmerz, den sie erlebte.

»Himmel und Hölle«. 2009 jährt sich das Verbot der Sklavenhaltung in den USA zum 200. Mal. Doch die Sklaverei endete damit nicht. Sie wirkt nach. Nicht nur jenseits des Atlantiks, auch in Europa. Ein guter Zeitpunkt, Rassismen und Klischees zu hinterfragen und endlich zu überwinden. Kluge Abenteuer- und Liebesgeschichten mit einer gehörigen Portion Realismus helfen dabei.

Malorie Blackman: Himmel und Hölle. Aus dem Englischen von Christa Prummer-Lehmaier und Sonja Schuhmacher. Boje Verlag. 487 S., geb., 19.90 EUR.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal