Bestenfalls eine dicke Null

Erfurter Einzelhändler warten vergeblich auf den Aufschwung – für manche ist es schon zu spät

  • Anke Engelmann, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Schon zu DDR-Zeiten war der Laden ein Geheimtipp. Hier bekam man Sachen, die es nirgendwo sonst gab: spezielle Ofenrohre für Kohleöfen, Werkzeug, nützliche Haushaltsdinge. Jetzt muss das Traditionsgeschäft Striepecke im Erfurter Norden schließen. Ein Einzelfall?

Mathias Striepecke stehen in diesen Tagen oft Tränen in den Augen. Seit 1911 führt die Familie das Geschäft für Eisen- und Haushaltswaren in der Magdeburger Allee. Jetzt muss er dichtmachen, die Verluste sind zu groß. »Die Leute können nicht mehr Geld ausgeben, als sie haben«, sagt er. Was nützt es, dass er Waren führt, die in keinem Baumarkt gelistet sind. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent war der Anfang: Auch wenn bis zum Sommer dieses Jahres die Wirtschaft geboomt habe – in den Geldbeuteln seiner Kunden wurde das Geld immer weniger, sagt Striepecke. »Die Leute kommen, wenn das Gehalt da ist.«

Kein Aufschwung für Kleinhändler wie Striepecke? Knut Bernsen, Landesgeschäftsführer des Erfurter Einzelhandelsverbandes (EHV) hält energisch dagegen, spricht von positiven Rückmeldungen kleinerer Betriebe, auch wenn einige von ihnen mit großen Ketten konkurrieren müssten. »Mit vorsichtigem Optimismus« gehe der Handel ins Weihnachtsgeschäft, unter anderem weil Benzin billiger wurde und damit die Kaufkraft gewachsen sei.

Doch die Verluste des Jahres mache auch das Weihnachtsgeschäft nicht wett, sagt Monika Osiewacz, Sprecherin des Thüringer EHV. Wenn es einen Wirtschaftsaufschwung gab, sei er im Handel nicht angekommen. »Und jetzt kommt er auch nicht mehr.« Die Konsumenten seien verunsichert, hätten anstehende Kostenerhöhungen wie die der Krankenkassen im Hinterkopf. »Natürlich ist jetzt eine Kaufzurückhaltung da.«

Das spüren vor allem die kleinen Händler. Zum Beispiel das Blumengeschäft im Norden der Stadt. Für den EHV und seinen »vorsichtigen Optimismus« hat die Eigentümerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, kaum etwas übrig. An kleine Geschäfte komme der EHV sowieso nicht ran: Wer an der Pleite laviert, hat kein Geld für Mitgliedsbeiträge. Nicht mal für die Heizung, auch wenn die Außentemperaturen unter Null liegen. Im September 2007 hat sie den Laden von der Vorbesitzerin übernommen. Im Dezember 2008 wird sie schließen. Blumengeschäfte tragen sich in der Blumenstadt nur an wenigen Standorten, sagt die junge Frau: Hauptfriedhof, Krankenhaus, Anger 1, Bahnhof. In Zeiten wie diesen sind Blumen Luxusartikel. Und die Konkurrenz ist groß: Baumärkte, Lebensmitteldiscounter und Tankstellen verkaufen zum Teil billiger als der Großhandel.

Weiter in der Bestandsaufnahme: Den Laden mit Klamotten aus Naturtextilien unweit vom Anger, der zentralen Einkaufsmeile der Stadt, gibt es seit 14 Jahren. Auch hier gingen die Umsätze bis unter die Schmerzgrenze zurück: Euro-Einführung, Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Benzinpreise belasteten die Geldbeutel der Kunden. »Die Leute kommen, wenn es Gehalt gab«, bestätigt die Eigentümerin Striepeckes Beobachtung. Doch anders als bei dem Eisenwarenhändler gehört zu ihrem Kundenstamm der einst gut betuchte Mittelstand.

»Die großen Ketten machen die kleinen Läden kaputt«, sagt die blonde Ladenbesitzerin. Wenn der Umsatz nicht mehr zu steigern ist, bleibt nur der Kampf mit harten Bandagen: Sonderaktionen, Preiskämpfe, Rabatte, lange Öffnungszeiten. Die Kleinen können da nicht mithalten. Bei steigenden Kosten bleibt von der permanenten Anstrengung, den Umsatzrückgang zu kompensieren, bestenfalls eine dicke Null unterm Strich.

Allein die Gewerbemieten, die in Erfurt für Thüringen absolute Spitze sind: Räume bis zu 100 Quadratmetern Größe in guter Lage kosten zwischen 12 und 80 Euro pro Quadratmeter, so die TLG Immobilien im Oktober 2008. Tendenz steigend. Ab 150 Quadratmetern werden zwischen 25 und 38 Euro fällig. Tendenz hier: fallend. In den 1A-Lagen am Anger wird jeder Quadratmeter im Erdgeschoss der Häuser zu Gewerbefläche ausgebaut. Riesige Flächen, für kleine Einzelhändler nicht zu bewirtschaften. Und so bestimmen große Ketten den Anger: H&M, C&A, Pimkies, Telefongesellschaften, Woolworth.

Für Kleinhändler wird es immer enger. Nur in guter Lage, mit einem sehr speziellen Angebot, viel Selbstausbeutung, Glück und einem gut verdienenden Partner können sie sich über Wasser halten. Die, denen das nicht gelingt, reihen sich in das Heer der Arbeitslosen ein. So wie Mathias Striepecke. 125 Absagen hat er auf seine Bewerbungen bekommen.

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