Unvereinbarkeiten in der SPD

Sozialdemokratische Ausschlussverfahren vor 60 Jahren und die »Akte SDA«

  • Norbert Podewin
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwoch, dem 1. Dezember 1948, wurden die Berliner SED-Parteibüros von aufgebrachten Mitgliedern gestürmt. »Sozis im Magistrat? Kann doch wohl nicht wahr sein?« Auslöser dieser empörten Anfragen waren die morgendlichen Nachrichten. »Neues Deutschland« vermeldete – aufmachend unter der Schlagzeile »Die Werktätigen Berlins haben gehandelt« – die Konstituierung einer neuen Stadtverwaltung unter Friedrich Ebert als neuem Oberbürgermeister (Repro: ND-Archiv). Ihm zur Seite standen aus der SPD Erich Geske als Bürgermeister sowie die Stadträte Arnold Munter (Bau- und Wohnungswesen) und Hans Bullerjahn (Banken und Versicherungen). Die Aufregung der Parteibasis war verständlich, befand man sich doch mit der von Franz Neumann geführten SPD seit fast zwei Jahren in ständig steigernder Dauerfehde. Sozialdemokraten, die sich in der Volkskongressbewegung »Für Einheit und gerechten Frieden« engagierten oder sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aufzugeben, wurden mit »Unvereinbarkeitsbeschlüssen« der Partei konfrontiert und ausgeschlossen. Einer der Betroffenen war Arnold Munter: Als er eines Tages 1948 in der SPD-Zentrale Zietenstraße als Naziopfer über die Ziele der VVN sprach, stieß überraschend Kurt Schumacher dazu und postulierte, diese Mitgliedschaft sei für Sozialdemokraten unvertretbar. Munter widersprach: Er habe im KZ eng mit Kommunisten und Parteilosen zusammengearbeitet und werde diese Bindung in der VVN fortsetzen. Daraufhin bekam er am 8. August 1948 einen Brief, dass er aus der Partei ausgeschlossen sei. Dieses Schicksal teilten in Berlin etwa 200 SPD-Genossen.

In den Westzonen wurden derart mehrere tausend Sozialdemokraten ausgeschlossen. Etwa 30 von ihnen trafen sich am 16. Oktober 1949 in Frankfurt am Main und gründeten die »Sozialdemokratische Aktion« (SDA). Sie verabschiedeten ein Grundsatzpapier, die »Frankfurter Erklärung«, in der die »wertbeständigen Grundgedanken zur sozialistischen Erneuerung der SPD« fixiert wurden. Fünf Berliner SDA-ler waren in der am 7. Oktober 1949 konstituierten Provisorischen Volkskammer der DDR vertreten. Bis 1954 wurden sie als »Sozialdemokratische Fraktion« geführt, danach waren sie in anderen Fraktionen wie Kulturbund oder FDBG eingebunden.

Als Reaktion auf den Mauerbau erfolgte am 23. August 1961 per Landesbeschluss die Auflösung aller noch in Ostberlin wirksamen SPD-Kreisorganisationen, für die SDA nun Anlass, am Folgetag auch ihre Tätigkeit einzustellen. Das bundesweite Wirken der SDA war bereits Jahre zuvor abrupt beendet worden. Am 8. Februar 1953 war eine SDA-Funktionärskonferenz in Worms geschlossen worden; die etwa 60 Teilnehmer kamen in Polizeigewahrsam. Auf Weisung des Karlsruher Oberbundesanwalts wurden gleichzeitig vier SDA-Landesbüros sowie zahlreiche Privatwohnungen durchsucht und etliche Funktionäre unter dem Vorwurf des »Hochverrats« verhaftet .

1956 kam es zum Prozess vor dem 6. Strafsenat in Karlsruhe. Sechs Funktionäre wurden wegen »hochverräterischen Unternehmens« angeklagt. Der Hauptvorwurf betraf deren »Propaganda bei der Bekämpfung der deutsch-alliierten Verträge, insbesondere des Generalvertrages, und der damit verbundenen Wiederbewaffnung der Bundeswehr«. Am 4. Juni d. J. wurden die Urteile verkündet: Gefängnisstrafen zwischen fünf und 42 Monaten.

Die »Akte SDA« war damit unwiderruflich geschlossen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: