Auf dem Eheanbahnungsmarkt von Shanghai

Für viele junge Chinesen übernehmen Papa und Mama die Suche nach dem »richtigen« Partner

  • Anna Guhl
  • Lesedauer: 4 Min.
Jedes Wochenende kommen sie in den Volkspark im Zentrum Shanghais, gleich neben der bekannten Einkaufsmeile Nanjinglu. Sonnabends wie sonntags bauen sie in aller Frühe Stände auf, sortieren ihre Unterlagen und hoffen inständig, dass sich die Warterei irgendwann wirklich lohnt und sie auf »den Richtigen« treffen.
Nicht nur Alter, Größe und Beruf sind auf den ausgehängten Anzeigen zu lesen.
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Dabei geht es gar nicht um ihr eigenes Partnerglück. Nein, ihnen liegt einzig und allein die Zukunft ihrer »Kinder« am Herzen. Die sind zwar schon erwachsen und meistern bereits recht erfolgreich ihr eigenes Leben. Die Eltern könnten eigentlich stolz auf ihre Sprösslinge sein, wenn die sich doch nur fürs Leben binden wollten!

Nirgendwo prallen Tradition und Moderne in Chinas Gegenwart so aufeinander wie in den unterschiedlichen Lebensvorstellungen der verschiedenen Generationen. Während sich die Eltern Mitte 50 auf ihr Rentnerdasein vorbereiten, zu dem seit altersher unbedingt das Schaukeln der Enkel gehört, wollen die jungen, zumeist als Einzelkinder aufgewachsenen Sprösslinge erst einmal ihr »Leben« nach Schule und Ausbildung genießen. Sie sind geprägt von Reform und Öffnung der vergangenen Jahrzehnte, wollen richtig Karriere machen und Geld verdienen, ins Ausland reisen und sich mit Freunden entspannen. Mit diesem lockeren »Lifestyle« strapazieren sie allerdings immer wieder den Geduldsrahmen der Großfamilie.

Insbesondere junge Frauen haben es nicht leicht. Dabei konnten gerade sie von der Entwicklung in den letzten Jahren profitieren. Nach Jahren des staatlich verordneten Puritanismus können sie jetzt wieder ihre Freude an Mode und Kosmetik ausleben und sich ganz als Frau geben. Dabei sind ihre Leistungen in der Gesellschaft anerkannt.

Viele junge Chinesinnen wollen ihren ehrgeizigen Ambitionen auch nachgehen, wie die junge Lin. Hoch motiviert nimmt sie in einem ausländischen Unternehmen eine Karrierestufe nach der anderen, engagiert leitet sie die Marketingabteilung, ist bei den Kollegen beliebt und geachtet, hat viele Freunde. »Mister Right« war allerdings noch nicht darunter.

Zwar ist sie noch keine 30 Jahre alt und macht sich eigentlich keine Gedanken. Ihre Eltern umso mehr. Obwohl sie ihre Tochter recht liberal erzogen haben. Dass sie sich so gar nicht binden will, beunruhigt sie. Aber sie sehen ein, dass ihre »kleine« Lin eigentlich gar keine Zeit für ernsthafte Bemühungen hat. Also übernehmen Papa und Mama Zhang die Suche nach dem richtigen Partner. Immerhin kennen sie die Stärken und Vorlieben ihrer »Kleinen«.

Anfangs fand Lin das auch noch ganz nett, und mit den ersten »Auserwählten« traf sie sich. Doch die Männer, die ihr die Eltern zudachten, entsprachen in keiner Weise ihren Vorstellungen. Kein Wunder, waren die meisten von ihnen doch auch »verpflichtet« worden.

Heiraten und Familiengründung gehören weiterhin zu den festen Größen im Leben eines jeden Chinesen. Ein Single-Dasein mit oder und Kinder oder ein Zusammenleben ohne Trauschein sind hierzulande bei allem Fortschritt immer noch die Ausnahmen. Auch die meisten jungen Menschen streben das Familienglück an. Aber glückliche und dauerhafte Partnerschaften gestalten sich auch im modernen China schwierig. Die Zahl der Scheidungen nahm in den Metropolen sprunghaft zu. Shanghai verzeichnet in den letzten Jahren Scheidungsraten von mehr als 30 Prozent. Während sich die jungen Paare auf dem Land angesichts des täglichen Existenzkampfes – oft leben die Männer der Arbeit wegen über Jahre getrennt von ihren Familien – kaum Gedanken über ein erfülltes Eheleben machen können, träumen junge Chinesen in den Städten durchaus von der großen Liebe ihres Lebens.

Auf den Ehealltag sind sie allerdings kaum vorbereitet. Ihre Eltern haben ihnen vorgelebt, dass vor allem das »Unternehmen« Familie funktionieren muss. So treffen viele junge Männer denn auch ihre »Wahl«: Nett und freundlich sollte die Zukünftige schon sein und hübsch anzusehen. Oftmals haben sie bereits während ihrer Studienzeit im Ausland gemerkt, dass Mädchen, die sehr gescheit sind und darüber hinaus auch ihren eigenen Kopf haben, auf die Dauer sehr anstrengend sein können.

So kehren viele der hochgebildeten und mit vielen Zeugnissen ausgestatteten nicht mehr ganz so jungen Männer allein nach China zurück und lassen sich dann »die Richtige« vorstellen. Dass die Eltern nicht allein aufs angenehme Äußere achten, zeigt ein Blick auf die sorgfältig vorbereiteten Lebensläufe ihrer »Kinder«: Da spielen Einkommen und Vermögen ebenso eine Rolle wie der familiäre Hintergrund und die elterliche Mitgift.

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