Der vergleichende Blick

Wien: Klimt im Belvedere, Schad im Leopold Museum

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Kunstherbst in Wien war wie jedes Jahr vielfältig. Eins der drei Highlights ist gerade zu Ende gegangen: Vincent van Goghs »Gezeichnete Bilder« in der Albertina, einem der bedeutendsten Zeichnungsmuseen der Welt. Es war die bestbesuchte Ausstellung in Österreich mit 589 180 Besuchern innerhalb von drei Monaten. Nun locken weiterhin »Gustav Klimt und die Kunstschau 1908« in der Österreichischen Staatsgalerie Belvedere und die Retrospektive Christian Schad im Leopold Museum, das zu den wichtigsten Sammlungen moderner österreichischer Kunst zählt.

Die 1908 veranstaltete Kunstschau in Wien war der Höhepunkt des öffentlichen Wirkens der auch »Klimt-Gruppe« genannten neuen Künstlervereinigung und der Anspruch einer künstlerischen Formung des »ganzen Lebens«. Der gesamte Lebenszusammenhang sollte von der Kunst erfasst und durch sie gestaltet werden. Der von Josef Hoffmann geplante Ausstellungskomplex umfasste verschiedenartigste Schauen (Malerei, Skulptur, Grafik, Kunstgewerbe und Theaterdekoration) mit zahlreichen peripheren Bauten. Mit der Kunstschau 1908 konnten Gustav Klimt und Josef Hoffmann ihren großen Traum vom Gesamtkunstwerk, von der Durchdringung des Lebens mit allen Medien der Kunst, Wirklichkeit werden lassen. Mit Oskar Kokoschka und Egon Schiele kündigte sich bereits eine neue Generation der Wiener Moderne an, deren Expressionismus entschieden mit dem ästhetischen Wohlklang der Stilisten um Klimt brach.

Das Belvedere sucht die Kunstschau anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens zu rekonstruieren und zeigt einen Großteil der ursprünglichen Exponate, zum Teil in Nachbauten der Ausstellungsräumlichkeiten. Vollständig wiedererstanden ist der »Raum 50« mit Werken der führenden Mitglieder der Wiener Werkstätte, der »Raum 10« mit über 100 reproduzierten Plakaten und der von Koloman Moser gestaltete »Raum 22« mit Hauptwerken von Gustav Klimt – unbestreitbar der Höhepunkt dieser Schau.

Klimt hängte damals seine wichtigsten allegorischen Gemälde im Goldenen Stil zwischen die Landschaftsbilder vom Attersee. Der »Kuß« (1907/08), in dem die Liebenden ins Reich der religiösen Ikonografie entrückt sind, war ein spontaner Erfolg und wurde sofort vom Staat angekauft. Dargestellt ist das ewige Paar Adam und Eva, ein heiliges Bild der Liebe. Es wurde gesagt, das Modell für Adam sei Klimt selbst, er halte seine Freundin Emilie Flöge in seinen Armen. Dem »Kuß« stellte er sein 1905 geschaffenes Bild »Die drei Lebensalter« (1905) gegenüber – Kind, Mutter und Alternde vergegenwärtigen hier den Gedanken der Erwartung, Erfüllung und Verabschiedung des Lebens. In diesen »Menschheitsallegorien« (Werner Hofmann), ist der Tod allgegenwärtig. In den Porträts von Fritza Riedler oder Adele Bloch-Bauer sind nur die Gesichter und Hände der Modelle in dreidimensionalem Realismus dargestellt. Der sie umgebende Raum wird von der Abstufung fantastischer Ornamente und Farbfelder eingenommen. Diese ebnen die gemalte Oberfläche ein, lösen kompakte Massen auf. Mit ihren weit geöffneten Augen und nervösen Händen sind diese Frauen ganz die ruhelosen, unerfüllten Gefangenen ihres Ranges und Reichtums. Obwohl sich Klimt vom Ästhetizismus niemals lossagen konnte, hat er sich den Veränderungen der Kunst in Wien keineswegs verweigert, manches aufgegriffen und sich angeeignet.

Dem deutschen Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit Christian Schad widmet das Leopold Museum eine große Retrospektive – es ist die erste umfassende Ausstellung in Österreich überhaupt. Die Retrospektive stellt etwa 130 Werke von Schad Vergleichsbeispielen von Zeitgenossen gegenüber, darunter Max Beckmann, Otto Dix oder László Moholy-Nagy. Nicht als Abbild von Wirklichkeit, sondern als »Sinnbilder« wollte Schad seine Werke verstanden wissen. »Papst Pius XI.« (1925) machte ihn berühmt. Sein bekanntestes Werk, das »Selbstporträt im durchsichtigen grünen Hemd mit Modell« (1927) mit einer fiktiven Pariser Kulisse, stammt aus seiner Wiener Zeit. Die beiden Figuren sehen einander nicht an, bleiben einander fremd, auch wenn die Gefährtin durch einen Rasiermesserschnitt als Eigentum ihres Liebhabers gekennzeichnet ist, selbst der Liebesakt kann sie nicht verbinden. Die unterkühlte Art der Darstellung, die scharf isolierende Nahsicht, gepaart mit psychologischer Durchdringung und einer makellosen Oberfläche wurde dann auch zu einem Signum seiner in Berlin entstandenen Porträts. »Maika« (1929) stellt eine selbstbewusste junge Frau mit Bubikopf, schulterfreiem schwarzen Kleid, einer großen Ansteckrose und einem Tattoo in der Ellenbeuge vor, das sich bei genauerem Hinsehen als Signatur des Künstlers erweist.

Auch mit einer nach ihm benannten Technik schrieb sich Schad in die Kunstgeschichte ein: Die »Schadographien«, die nach 1917 entstanden, sind Fotogramme mit objets trouvés, die auf direkt belichtetes Fotopapier gelegt wurden. Sie sind sein wichtigster Beitrag zur Kunst des Dadaismus in seiner Genfer Zeit. Fast ein Jahrhundert umspannte das Leben des Künstlers und so profitierte dieser unglaublich Experimentierfreudige von einer außergewöhnlichen Bandbreite künstlerischer Einflüsse – vom Expressionismus, Dadaismus und Kubismus über den Futurismus und die Pop-Art bis hin zum Fantastischen Realismus. Es wird in Wien eine Neubewertung seines oft verkannten Spätwerks versucht, in dem Schad noch einmal zum Realismus zurückkehrte, und zwar geprägt durch eine collageartige Malweise, die Kombination von Motiven und symbolistische Inhalte. Aber diese letzten Räume durcheilt der Besucher nur noch, die neusachlichen Porträts der 20er Jahre markieren nach wie vor die Höhepunkte seines Werkes.

Gustav Klimt und die Kunstschau 1908. Unteres Belvedere, bis 18. Januar. Christian Schad Retrospektive. Leopold Museum, Museumsquartier, bis 6. Januar.

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