Klassenfahrt zum Punkkonzert

Die Skeptiker wecken im Berliner Kesselhaus Erinnerungen

  • Alexander Cierpka
  • Lesedauer: 3 Min.

Das schrill gediegene Ambiente des Weihnachtsmarkts in der Kulturbrauerei lockt speziell am Wochenende etliche Grüppchen schwäbelnder und sächselnder Berlin-Besucher. Buden, Tand, Touristenfallen – mittendrin ein vierköpfiger Chor jugendlicher Christen, der vor dem Eingang des Kesselhauses schüchtern Weihnachtslieder zum Besten gibt. Besinnlichkeit pur.

»Singt mal wat Schnelleret!« tönt es aus der Gruppe nebenan. »Könnt ihr ›Straßenkampf‹?«. Das ist den frommen Sängerknaben nun doch zu viel, hastigen Schrittes räumen sie den Eingangsbereich der Konzerthalle, der mittlerweile von fröhlich-lauten, meist schwarz gekleidetet Gestalten bevölkert wird.

Anlass: ein Konzertmarathon, der mit einer bemerkenswerten Band enden soll. Die stilgebenden Ikonen, die bislang unerreichten Lyriker des deutschsprachigen Punkrock, Die Skeptiker geben sich die Ehre. Wenig inspirierend indes das Vorprogramm.

Auftakt Fußgas. Wildes Gegrunze, unkontrollierter Bierkonsum, ausgemergelter Körper – Frontmann Rock 'n' Roland treibt die wenigen Kesselhaus-Besucher in Scharen an die Bar. Der Tontechniker hat ein Einsehen und schraubt den Dezibel-Pegel auf ein erträgliches Maß.

Den Kolporteuren aus Berlin-Marzahn gelingt es weder, das verstörte Publikum zurück auf die Tanzfläche zu treiben, noch den eng gestrickten Zeitplan einzuhalten: »Wenn die noch einen spielen, drehste den Ton ab«, schnauzt der sichtlich genervte Veranstalter Richtung Mischpult.

Überhaupt bietet der Tresen bislang ein wundervolles Klassentreff-Ambiente. Das für ein Punkrock-Konzert äußerst distinguierte Publikum schwelgt in Erinnerungen, »Ach ja, die Achtziger!«, verklärt die eigene Jugendzeit und ignoriert konsequent den charmanten Auftritt der Ramones-Coverband Commando.

Kurz nach Mitternacht. Die Techniker nutzen die kollektive Missachtung des Rauchverbots für eine infernalische Lichtschau. Aus den überdimensionalen Boxen knarrt »Ein Lied geht um die Welt« der Comedian Harmonists. Lang ersehnter Startschuss für das Publikum, das reflexartig zur Bühne drängt. Und sofort für das zähe Vorprogramm entschädigt wird: »Deutschland halt's Maul«, »All right my Boys«, »Das geht nie vorbei« bilden den Auftakt eines denkwürdigen Auftritts der 1986 im Osten Berlins gegründeten Skeptiker.

Sänger Eugen, der seinen ergrauten Schopf mit einer schwarzen Mütze tarnt, springt noch immer wie ein kleiner Gummiball über die Bühne, während seine eindringliche Stimme die Masse entfesselt. Eine Masse, die mittlerweile vorwiegend aus stilvoll gekleideten Stützen der Gesellschaft besteht, die schon längt das klapprige Moped gegen den eleganten Mittelklassewagen getauscht haben und dennoch inbrünstig »Straßenkampf, Straßenkampf/Alles auf die Barrikaden/Straßenkampf, Straßenkampf/Steine fliegen durch die Luft.« brüllen. Eine herrlich bizarr-romantische Szenerie, die leider nach nur 60 Minuten mit einem dem Abend würdigen Vers endet: »Es kommt ein Tag, wo wir versteh'n: Dasein, wie bist du schön!«

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