Arbeit des Teufels
Heinar Kipphardts »Zur Sache J. Robert Oppenheimer« am Deutschen Theater in Berlin
Hans Nadolny hat die szenische Lesung »Zur Sache J. Robert Oppenheimer« auf die DT-Bühne gebracht. Ein Aussteiger-Lehrstück. Oppenheimer stand 1954 vor dem Sicherheitsausschuss der amerikanischen Atomenergiekommission. Dieser Ausschuss tagte auf Geheiß McCarthys. Der hatte den Verdacht geäußert, die Verzögerung beim Bau der amerikanischen Wasserstoffbombe könne nur auf Verrat zurückzuführen sein. Oppenheimer war wissenschaftlicher Leiter des amerikanischen Atombombenprogramms in Los Alamos. Er befürwortete den Einsatz der Atombombe in Japan, aber den Bau der von Edward Teller entwickelten Wasserstoffbombe lehnte er ab.
Das Verhör zeigt den Wissenschaftler in Konflikt zwischen Forscherehrgeiz, Loyalität zu seinen Auftraggebern und Gewissen. Dieter Mann liest Oppenheimer im Protokoll. Distanziert kalt und doch überzeugend. Ein Erfolgs- und Machtmensch gerät in Verdacht. Er sieht sich zurückgeworfen auf das, was er ist: Atomforscher. Ist man, wenn mittels dieser Forschungen immer größere Bomben gebaut werden, mehr als ein Vasall des Militärs? Der Ausschuss fragt immer suggestiver nach seinen Beziehungen zu Kommunisten, aber Oppenheimer hat sich entschlossen: seine Karriere ist ihm egal. Und plötzlich steht er da als ein freier Mensch, der über seine Gewissensqual nach dem Atombombenabwurf, über seine Irrtümer und die Notwendigkeit spricht, die technisch-militärische Logik in weltweite Kontrollverträge einzubinden.
Oppenheimer setzt angesichts möglicher Vernichtung auf die Vernunft. Die Fragen von Roger Robb (Ingo Hülsmann), dem Anwalt der Atomenergiebehörde, werden immer schärfer. Aus dem »Vater der Atombombe« wird in seiner Rede ein Sicherheitsrisiko, ja ein potenzieller - kommunistischer - Feind. So holt man Helden vom Sockel, wenn sie beginnen, ein Gewissen zu haben. »Gedankenverrat« nennt Robb Oppenheimers Zögern vor der Wasserstoffbombe.
Dreitausend Seiten Verhörprotokoll. Das Urteil des Ausschusses lautet im Sinne McCarthys: Entzug der »Sicherheitsgarantie« für Oppenheimer und sein Ausschluss von weiteren militärischen Forschungen. An die Stelle Oppenheimers tritt Edward Teller, der für die Logik der Abschreckung steht, bis hin zu dem von ihm unterstützten SDI-Programm. Im Gespräch mit Günter Gaus sagt Teller 1963, was technisch gemacht werden könne, werde gemacht. Jeder Verzicht auf Entwicklung des technisch Machbaren sei töricht. Nur immer neue Entwicklungen könnten die Gefahren des bereits existierenden Entwicklungsniveaus bannen.
Das Hier wird zum Denkstück, ein Zeitspiel über die Frage, wohin sich diese westliche Zivilisation entwickeln wird. Nach welcher Logik bewegt sie sich wohin? Hier sind intelligente Schauspieler gefordert, die sich für mehr interessieren als den Sitz ihrer Frisur. Auch in dieser Hinsicht fand auf der Bühne eine Demonstration statt: wer sagt, was mit wie viel Erfahrungswissen, versteht, was er da eigentlich spricht? Nur ein Protokoll ablesend, muss hier mehr als nur abgelesen werden. Mit Edward Teller (Jörg Gudzuhn) steht die geistige Gegenthese zu Oppenheimer im Raum, in dieser Runde der Anwälte und Gegenanwälte, die nur immer sagen, was man gerade von ihnen fordert. Teller, der Gedichte und Novellen schreibt, will im Gegensatz zu Oppenheimer nie irgendwelche Skrupel des Atombombenabwurfs wegen gehabt haben.
Der Fall Oppenheimer zeigt, Wissenschaftler allein sind unfähig, die Folgen ihres Tuns zu ermessen. Wer soll entscheiden? Oppenheimer forderte am Ende des Tribunals über ihn, die Wissenschaft dürfe sich nicht mehr von Militärs in Geheimhaltungsecken drängen lassen, denn wir alle seien von Drohungen wie Chancen neuer Technik betroffen. Öffentlichkeit wird zum einzigen Schutz vor Frankensteinkonstrukteuren aller Art, dessen war sich Oppenheimer sicher. »Wir haben die Arbeit des Teufels getan, und wir kehren nun zu unseren wirklichen Arbeiten zurück.« Auch das war ein Irrtum.
Nächste Vorstellung am 16.3.
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