»Ich fühle mich, als sei ich tot«

Tausende vegetieren in irakischen Gefängnissen – nicht selten schuldlos

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Situation von Gefangenen in Irak ist dramatisch: Nicht nur wegen der Überbelegung der Haftanstalten, sondern vor allem wegen der Unsicherheit, ob sie einen fairen Prozess bekommen.

In einer Frühlingsnacht 2008 wurde Saads Elternhaus zum zweiten Mal von US-amerikanischen und irakischen Soldaten gestürmt. Wie schon wenige Wochen zuvor wurden Schubladen ausgeleert, Teppiche angehoben, Bilder umgedreht, Jacken von Ständern und Kleidung aus den Schränken gerissen. Geld, Schmuck und andere Wertgegenstände waren schon bei der ersten Razzia verschwunden, als Saads älterer Bruder Adnan wegen angeblicher Unterstützung der Mehdi-Milizen verhaftet worden war. Zum Entsetzen der Mutter und der anderen Familienmitglieder nahmen die Soldaten nun den Vater mit, einen 74-jährigen Rentner. Der Vater unterstütze die Mehdi-Milizen mit Geld, lautete der Vorwurf. Darum werde er verhaftet. »Meine Eltern leben von der Rente, die mein Vater von seiner früheren Anstellung am Flughafen von Bagdad erhält«, sagt Saad am Telefon. 80 US-Dollar seien das im Monat, umgerechnet etwa 60 Euro.

Wie Adnan wurde auch der Vater in das US-amerikanische Gefangenenlager Camp Cropper am Flughafen von Bagdad gebracht. Dann ging es weiter nach Camp Bucca, in die Wüste bei Basra. Monatelang blieb ihre Situation unklar, bis im September, zum Ende des Fastenmonats Ramadan, Adnan wieder entlassen wurde. Eine Gerichtsverhandlung hatte es nicht gegeben, weder Anklage noch Urteil. Der Vater sei noch immer in Camp Bucca, sagt Saad. Einmal habe die Mutter mit ihm telefonieren dürfen. Man habe ihr mehrfach versichert, dass nichts gegen ihren Mann vorliege. Doch wann er nach Hause kommt, wisse niemand.

Adnan A. und sein Vater sind nur zwei Beispiele von Tausenden, die in Gefängnissen Iraks dahinvegetieren. »Die Amerikaner zahlen Geld für ›Hinweise‹«, sagt Saad. Also erzählen die Leute alles mögliche, um zu kassieren. Manchmal auch aus Boshaftigkeit, um jemandem Schaden zuzufügen.

Am 1. Februar 2009 wollen Briten und US-Amerikaner mit der Auflösung ihrer beiden offiziellen Gefangenenlager, Camp Cropper und Camp Bucca, beginnen. Nach USA-Angaben gibt es dort noch 15 800 Inhaftierte. Die irakische Regierung werde jeden Fall einzeln prüfen und entscheiden, wer frei gelassen und wer der irakischen Justiz überstellt werden soll, erklärte kurz vor Weihnachten US-Brigadegeneral David Quantock von Task Force 134, einer Spezialeinheit zur »Betreuung« irakischer Gefangener in britischer und US-amerikanischer Militärhaft. Camp Bucca in Südirak werde geschlossen und die Gefangenen bringe man nach Camp Taji, einer US-Militärbasis nördlich von Bagdad.

Wer der irakischen Justiz überstellt wird, kommt in eines der völlig überfüllten irakischen Gefängnisse. Handyaufnahmen von irakischen Abgeordneten aus einer Haftanstalt in Falludscha und ein Bericht der britischen BBC, die überraschend eine Drehgenehmigung für das Gefängnis Rusafa in Bagdad erhalten hatte, zeigten kürzlich, wie es dort aussieht. »Wir brauchten einige Zeit, bis wir verstanden, was wir da vor uns hatten«, beschrieb der Bagdad-Korrespondent der BBC, Andrew North, den Gefängnisbesuch. »In einem schmalen, kaum erleuchteten Raum sahen wir zunächst die eisernen Etagenbetten, vollgehängt mit Plastiktüten, Kleidung und Handtüchern. Von den Betten starrten sie uns an, Gesichter und noch mehr Gesichter, bärtig, unrasiert, grau oder kahlköpfig.« Jeder nur verfügbare Platz in der Zelle, die etwa die Größe eines Klassenraums hatte, sei besetzt gewesen. Vier, fünf Männer quetschten sich auf ein Bett. Mehr als 150 Gefangene waren wie Vieh zusammengepfercht, manche weinten, als sie die ausländischen Journalisten sahen, andere verdeckten ihre Gesichter. »Sie schlafen abwechselnd, weil es nicht genügend Betten gibt«, erklärte ein Mann. Manche schliefen auf Decken am Boden, direkt neben dem »Bad« – drei nur mit einem Vorhang abgetrennte Toiletten und Waschbecken, eine Dusche. Dort könnten die Männer sich alle drei Tage waschen, Sport oder gar Ausgang gebe es nicht.

Doch nicht nur die Überbelegung ist ein Problem im irakischen Strafsystem: Kaum ein Gefangener weiß, wann und ob es jemals zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird. Ein Mann sagte: »Ich fühle mich, als sei ich tot.«

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