In den Westen

Peter Kirschey über eine alltägliche Übersiedlung

  • Lesedauer: 2 Min.

Bis 1989 nannte man das Republikflucht – die Übersiedlung von Ost nach West. Sie wurde, wenn sie illegal erfolgte und man dabei erwischt wurde – in der Regel konnte sie nur illegal erfolgen – mit entsprechenden Strafen belegt. Nun hat auch ein alter Mann mit seiner Frau diesen Schritt getan, ist von Ost nach West gezogen. Irgendwo in Wilmersdorf soll er sich niedergelassen haben. Sicher war der Schritt nicht ideologisch begründet, auch nicht aus Nach-Wende-Antipathie gegen eine bestimmte Himmelsrichtung. Mit keinerlei Gefahr für Leib und Leben war der Akt verbunden – und es funktionierte ganz ohne Ausreiseantrag. Niemand wird Günter Schabowski nun der Republikflucht bezichtigen, ihn wegen des Umzugs als Lakaien des Klassenfeindes entlarven. Schlicht und einfach: Die harte Mietrealität hat ihn eingeholt.

War da nicht noch was? Richtig, von Zeit zu Zeit werden sie nach oben gespült, die Legenden um die »verschwundenen SED-Millionen«. In diesem geschichtsträchtigen Jahr wird sich sicher ein eifriger Ex- oder Bürgerrechtler finden, der im Schlamm wühlt, um der LINKEN was am Zeug zu flicken. Zumindest eines ist mit der Übersiedlung bewiesen: Schabowski ist unschuldig, er hat die Kröten nicht. Aber das hat er ja schon immer gesagt. Doch vielleicht findet er jetzt die Ruhe, die ihm bisher so gefehlt hat und ihn immer wieder zu neuen Erklärungsversuchen trieb, warum mit den LINKEN alles so schrecklich ist. Es sei ihm gegönnt.

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