Diese Ähnlichkeit

Epochale Ausstellung in Paris: Picasso und seine klassischen Vorbilder

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Junge, ein Pferd führend – Gemälde von 1905/06
Junge, ein Pferd führend – Gemälde von 1905/06

Eine spektakuläre Ausstellung im Pariser Grand Palais zieht gegenwärtig und noch bis Anfang Februar täglich viele tausend Menschen an: »Picasso und die Meister«. Hier werden prägnante Werke des großen Malers des 20. Jahrhunderts zusammen mit Bildern berühmter Vorbilder aus fünf Jahrhunderten gezeigt, an denen sich Picasso orientiert hat oder von denen er sich inspirieren ließ. So sind künstlerische Schätze zusammengekommen, die man in dieser Konzentration noch nie gesehen hat und wohl auch nie wieder zu sehen bekommt – schon wegen der steil ansteigenden Versicherungsprämien.

Der Wert der insgesamt 220 Kunstwerke wird auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt. Zu den hier versammelten Meistern zählen Rembrandt, Tizian, Velásquez, El Greco, Goya, Poussin, Ingres, Delacroix, David, Manet, Cézanne, Renoir und viele andere. Picassos Vorbilder stammen aus ganz unterschiedlichen Epochen und Stilrichtungen. »Für mich gibt es in der Kunst weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft: Die Kunst der Griechen, der Ägypter, der großen Maler, die zu anderen Zeiten gelebt haben, ist keine Kunst der Vergangenheit. Vielleicht ist sie heute lebendiger denn je«, erklärte er 1923.

Als Kunststudent in Barcelona begeisterte sich Picasso für seinen spanischen Landsmann Velásquez, dessen Porträt von König Philippe IV. er kopierte. In der Ausstellung sind die Kopie und das Original nebeneinander zu sehen. Doch schon bald ging er über das Kopieren hinaus, etwa wenn er aus dem üppigen Bild von El Greco »Der Heilige Martin und der Bettler« ein ganz schlichtes und nicht weniger eindringliches Motiv macht. Ganz neue Inspirationen vermittelte ihm 1901 eine erste Reise nach Paris, wo er erstmals Werke von Cézanne, Gauguin und Manet kennenlernte. Picassos »Blaue Phase« zwischen 1901 und 1905 geht stark auf den Einfluss von Manet zurück. Das 1906 entstandene Bild »La Coiffure« (Die Frisur) ähnelt einem gleichnamigen Bild von Renoir aus dem Jahre 1901. Bei Picassos Porträt »Fernande mit schwarzer Mantilla« fällt die ähnliche Kopfhaltung der Frauen bei Goyas »Gräfin von Carpio« und Manets »Lola von Valence« auf.

All diese Bilder kann man hier selbst miteinander vergleichen. Die Konfrontation von Picassos »Mann mit Zigarre« und Zurbaráns »Franz von Assisi« beweist, dass der Kubismus nicht nur auf den Einfluss der afrikanischen Kunst, sondern auch auf den der spanischen Mystik zurückgeht. Nicht alle Zusammenstellungen sind überzeugend, wenn man das klassische Vorbild mit dem entsprechenden Werk von Picasso vergleicht, doch Anne Balassari, die Kuratorin der Ausstellung und Direktorin des Pariser Picasso-Museums, hat dafür eine Erklärung: »Picasso trägt das Erbe all dieser Meister in sich. Viele Bilder hat er nie im Original gesehen, sondern nur als Postkarte oder Dia. Er deformierte deren Bilder auch gern. Wie ein Kannibale absorbierte er die Schaffenskraft des anderen und schöpfte daraus eigene Energie. Das ist aber bei Picasso eine sehr liebende und respektvolle Geste.« Im letzten Saal der Ausstellung sind erstmals drei berühmte Frauenakte – die Venus von Tizian, die Maya von Goya und die Olympia von Manet – zusammengeführt und ins Verhältnis gesetzt zu nicht minder berühmten großformatigen Aktbildern von Picasso.

Parallel und ergänzend zur Ausstellung im Grand Palais zeigt der Louvre einige Bilder, die Delacroix nach einer Nordafrika-Reise gemalt hat und die Picasso sehr beeindruckt haben, und ein Dutzend von ihm gezeichnete und gemalte Variationen. In gleicher Weise hat das Orsay-Museum sein berühmtes »Frühstück im Grünen« von Manet mit zehn stark verfremdeten Kopien umgeben, die Picasso 1962/63 gemalt hat.

Die epochale Picasso-Ausstellung hat so großen Erfolg, dass sich vor dem Grand Palais täglich lange Schlangen bilden. Bis zur Halbzeit der Ausstellung nach den ersten zwei Monaten hat man schon 350 000 Besucher gezählt und insgesamt rechnet man mit 650 000. Wegen des großen Andrangs haben sich die Organisatoren zu einem noch nie gewagten Experiment entschlossen: Zum Abschluss Anfang Februar bleibt die Exposition drei Tage und Nächte ohne Unterbrechung geöffnet.

Doch der große Erfolg weckt auch Begehrlichkeiten. Da die Einnahmen bei weitem die auf 4,4 Millionen Euro bezifferten Kosten der Ausstellung im Grand Palais überschreiten dürften, beanspruchen schon jetzt der Louvre davon vierzig Prozent sowie das Orsey-Museum und das Picasso-Museum je fünfzehn Prozent für sich, da ein großer Teil der gezeigten Werke aus ihren Sammlungen stammt. Das empört den Träger der Picasso-Ausstellung, die Vereinigung der Nationalen Museen RMN, die Jahr für Jahr zahlreiche defizitäre Ausstellungen im ganzen Land zu finanzieren hat und der die Überschüsse daher sehr gelegen kommen.

Inzwischen hat Kulturministerin Christine Albanel ein Machtwort gesprochen und hat gegen den Egoismus der großen Pariser Museen und für die RMN und das Solidarprinzip entschieden.

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