Der Krieg ist auch für Israel eine Gefahr

ND-Interview mit Friedensaktivist Jesse Bacon: Widerstand in der jüdischen Gemeinde der USA / Jesse Bacon ist Vorstandsmitglied der Friedensorganisation »Jewish Voice for Peace« in den USA

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Gemeinsam mit anderen Organisationen nimmt »Jewish Voice for Peace« am Protest gegen den israelischen Angriff auf den Gaza-Streifen teil. Wie stark ist der Widerstand jüdischer Organisationen gegen diese Offensive in den USA?
Bacon: Stärker als je zuvor. Aber nicht so stark, wie wir ihn gerne hätten. Initiativen wie unsere werden auch in den USA immer stärker wahrgenommen. Persönlichkeiten wie der ehemalige Präsident Jimmy Carter oder Desmond Tutu aus Südafrika nehmen unsere Aktionen wahr. Mit unserer E-Mail-Liste erreichen wir inzwischen rund 30 000 Menschen. Ungeachtet der Wirtschaftskrise haben wir ein hohes Spendenaufkommen. Auch andere Organisationen wie »J Street« vereinigen ein breites Spektrum politischer Gruppen. Und im persönlichen Kontakt merken wir, dass ein Umdenken einsetzt. Kürzlich hat mein Rabbi diesen Krieg in seinem Internet-Tagebuch als »Schandtat« bezeichnet. Ich hätte eine solche Stellungnahme nie von ihm erwartet.

Andererseits wirken in den USA einflussreiche jüdische Organisationen wie das »American Israel Public Affairs Committee«, die Israels aggressive Militärpolitik befürworten. Was können Sie dagegen ausrichten?
Wir zeigen, dass nicht alle Juden in den USA einer Meinung sind, vor allem nicht dieser Meinung. Diese Organisationen behaupten, für das US-amerikanische Judentum zu sprechen. Dabei stehen sie am extremen rechten Rand der jüdischen Gemeinschaft und sind wegen ihrer bedingungslosen Unterstützung für die Bush-Regierung politisch diskreditiert. Wir setzen ihrem trotzdem großen Einfluss unsere Bündnisarbeit entgegen. Wir organisieren Protestaktionen und Veranstaltungen mit größeren Gruppen wie »Just Foreign Policy« oder der in den USA starken Presbyterianischen Kirche.

Israels Regierung sagt, sie schütze die eigene Bevölkerung vor Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen.
Natürlich hat die israelische Führung das Recht, die eigene Bevölkerung zu schützen. Aber sie muss die völkerrechtlichen Standards achten und vor allem darf sie nicht grundlegende humanistische Werte verletzten. Der gegenwärtige Krieg stellt für Israel selbst eine physische und eine moralische Gefahr dar. Vor allem aber verletzt er das Recht der Palästinenser auf Schutz und Sicherheit.

Die Lösung wäre also?
Ein dauerhaftes, für beide Seiten gerechtes Friedensabkommen.

Was erwarten Sie von der Nahost-Politik des kommenden US-Präsidenten Barack Obama?
Obama hatte in Chicago enge Verbindungen zur arabisch-amerikanischen Gemeinschaft und zur jüdischen Gemeinde. Er hat gute Berater, um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu vermitteln. Trotzdem wird er in seinem Handeln von den herrschenden Vorgaben und Ideen zum Nahost-Konflikt eingeschränkt werden, die in den USA besonders eng sind. Ich finde es schon hoffnungsvoll, dass er sich bislang nicht zu diesem Krieg geäußert hat, auch wenn ich seinen Protest natürlich begrüßen würde.

Sie unterstützen die Shministim, eine Bewegung von Kriegsdienstverweigerern in Israel. Welchen Rückhalt haben die Shministim?
Ein Aufruf zur Verweigerung wurde von 60 Jugendlichen unterzeichnet. Shministim bedeutet etwa »18 Jahre alt«. Das ist das Alter, in dem Jugendliche in Israel in der Regel zum Militär einberufen werden. Die Unterzeichner des Aufrufs verweigern den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen. 60 Unterstützer sind nicht viel, sie stehen aber für viele andere, die den Wehrdienst verweigern. Viele machen das nicht öffentlich oder begründen es gar politisch. Dass die Regierung in Israel diese Bewegung fürchtet, hat sie bereits bewiesen: Sie hat zehn Unterzeichner des Aufrufes inhaftiert.

Fragen: Harald Neuber

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