Bündnis Berlusconi-Merkel gegen Naziopfer

VVN-BdA kritisiert »verächtlichen Umgang« mit Forderungen nach Entschädigung

  • Ulrich Sander
  • Lesedauer: 3 Min.
Dino Tiezzi (Aufnahme aus der WDR-Reportage »die story: Herrenpartie«) überlebte das Massaker von Civitella, sein Vater wurde ermordet. Repro: WDR
Dino Tiezzi (Aufnahme aus der WDR-Reportage »die story: Herrenpartie«) überlebte das Massaker von Civitella, sein Vater wurde ermordet. Repro: WDR

Zu den Jubiläen des Jahres 2009 gehört der 70. Jahrestag des Stahlpaktes, wie die Achse Berlin-Rom vom 22. Mai 1939 an genannt wurde. Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien vereinbarten damals die Vertiefung ihrer mörderischen Zusammenarbeit. Rechtzeitig zum Jahrestag wird vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage verhandelt, bei der sich die heutigen Regierungen Deutschlands und Italiens gegen Opfer der Achse Berlin-Rom wenden.

Der oberste italienische Gerichtshof hatte im Oktober entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland etwa eine Million Euro Entschädigung zahlen müsse – wegen eines Massakers der Wehrmacht im toskanischen Civitella im Juni 1944. Damals waren mehr als 200 Menschen von deutschen Soldaten ermordet worden. Seit dem Urteil droht die Pfändung deutschen Besitzes in Italien, wo derzeit rund 50 ähnliche Verfahren anhängig sind. Nach Auffassung der italienischen Justiz genießt der deutsche Staat in diesen Verfahren keine Immunität, weil es sich bei den Massakern um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelte.

Dagegen wendet sich die Bundesregierung mit einer Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof. Sie will erreichen, dass der italienische Staat Gerichtsentscheidungen außer Kraft setzt, die Deutschland Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe auferlegen würden. Die Regierung Berlusconi unterstützt den juristischen Schritt der Deutschen. Berlusconi und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten bereits im November ihr Interesse an einer Grundsatzentscheidung bekundet. Berlusconi ist seinerseits in Sorge – denn wenn Opfer des faschistischen Deutschland gegen Deutschland vor Gericht endgültig obsiegen würden, könnten Opfer des faschistischen Italien – Antifaschisten aus Spanien, Kriegsopfer aus Afrika und Griechenland – mit ähnlichen Klagen auf Erfolg hoffen.

Die Bundesregierung wiederum will sich mit der Klage in Den Haag auch vor Entschädigungsleistungen für italienische Zwangsarbeiter sowie für italienische Militärinternierte schützen – Soldaten, denen vom Hitler-Regime der Kriegsgefangenen-Status aberkannt wurde. Berlin erkennt diese Statusänderung rechtlich nicht an, denn Zwangsarbeiter und Militärinternierte dürfen Entschädigung beanspruchen, Kriegsgefangene aber nicht.

Gleichzeitig will man die Entschädigung griechischer Opfer verhindert werden. Dabei geht es um ein Urteil des Berufungsgerichts in Florenz vom November 2008. Darin war ein Urteil der griechischen Justiz aus dem Jahr 1997 für vollstreckbar erklärt worden, wonach Überlebende eines SS-Massakers in dem griechischen Dorf Distomo Entschädigungsansprüche gegen Deutschland durchsetzen können. Dieses und andere Massaker in Griechenland und Italien wurden von deutschen Gerichten zu »normalen Kriegshandlungen« umdefiniert, die nicht speziell nationalsozialistisch gewesen seien.

Trotz dieser Geschichtsfälschung behauptet die deutsche Regierung, sie wolle keine Relativierung der NS-Verbrechen vornehmen. Doch solche Relativierung findet seit Jahren statt und hat erst zu den Urteilen in Italien und Griechenland geführt. Hätte die Bundesregierung nicht seit Jahren die Hand über NS-Mörder und ihre Vereinigungen – Traditionsverbände wie die Gebirgstruppe e.V. – gehalten, sondern sich mit den Opfern verständigt, wäre es nicht zu der juristischen Zuspitzung gekommen.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) reagierte empört auf die Klage der BRD. »Das ist ein ungeheurer Vorgang, der auf den entschiedenen Protest der Opfer des Faschismus und der Antifaschisten unseres Landes stößt«, erklärte VVN-Bundessprecher Heinrich Fink. Der verächtliche Umgang mit der Forderung nach Wiedergutmachung für die italienischen und griechischen ehemaligen Sklavenarbeiter sowie für die Hinterbliebenen von Opfern der Wehrmachtsmassaker sei beunruhigend. »Ihnen und ihren Angehörigen gegenüber sind keinerlei Verpflichtungen übernommen worden, während deutsche Kriegsverbrecher und deren Hinterbliebene seit Jahrzehnten volle Fürsorge genießen«, kritisierte Fink. Er erinnert daran, dass Hitler SS-Männer aus vielen europäischen Ländern zu deutschen Staatsangehörigen gemacht hat, die später als Kriegsversehrte – mancher bis heute – deutsche Renten bezogen. Die Umwandlung ausländischer SS-Leute in Deutsche ist von keiner Bundesregierung moniert worden, die Umwandlung Kriegsgefangener in Sklavenarbeiter durchaus. In dieser Frage gehen Rom und Berlin nun sogar vor das höchste internationale Gericht.

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