nd-aktuell.de / 10.01.2009 / Kommentare / Seite 1

Freiheit für Gaza

Norman Paech
Der 1938 in Bremerhaven geborene Völkerrechtler ist außenpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag.
Der 1938 in Bremerhaven geborene Völkerrechtler ist außenpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag.

Gaza: killing fields, größtes Gefängnis der Welt oder Guernica. Welche Metapher wir auch lesen, die die letzten vierzehn Tage in Gaza zu beschreiben versucht, es bleibt alles nur Assoziation. Am präzisesten hat es der Sonderbeauftragte des UN-Menschenrechtsausschusses für die besetzten Gebiete, Richard Falk, formuliert. Er bezeichnet die Situation als Kriegsverbrechen. Dieser Begriff nimmt das, was wir in den ausgewählten Bildern nur ahnen – die stündlich steigende Zahl der Toten und Verletzten ohne reale Flucht- und Schutzmöglichkeit, der Kollaps des gesamten Versorgungssystems, ob mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Medizin oder Energie, das grauenhafte Elend einer wehrlosen Bevölkerung –, nicht wie ein Naturereignis hin, sondern verurteilt es als schwerste Verletzung des Völkerrechts und belegt es im Römischen Statut der Staaten mit Strafe.

Da hilft es nicht, die Raketen der Hamas dagegen aufzurechnen oder sie für ein Selbstverteidigungsrecht in Anspruch zu nehmen. Auch sie sind ein Verstoß gegen das Völkerrecht und taugen nicht zur Legitimierung des eigenen Verstoßes. Der Schutz der Zivilbevölkerung ist für die Hamas genauso oberstes Gebot wie für die israelische Armee. Beide Seiten müssen ihre Kampfhandlungen sofort und bedingungslos einstellen. Die israelische Armee kann dies nicht vom Verhalten der Hamas abhängig machen. Und was soll eine Waffenruhe für ein paar Stunden? Um die Opfer zu füttern, um der Welt die Humanität des Feldzugs vorzuspiegeln?

Es ist allmählich auch in israelischen Zeitungen zu lesen, dass der Waffenstillstand des vergangenen Jahres nicht von Hamas, sondern von der israelischen Armee gebrochen wurde. Doch auch dies ist eine Nebensache, angesichts der völlig unverhältnismäßigen Kriegsführung, die keinen Unterschied zwischen Kämpfern und Frauen mit ihren Kindern macht, weder Schulen noch Moscheen schont. Kein politisches Ziel, kein Verteidigungs- oder Notwehrrecht vermag einen solchen Krieg zu rechtfertigen. Eine Verhöhnung der UNO-Charta, eine Barbarei unter den Augen von Staaten, die ihre Schwäche oder Feigheit hinter einer milden Kritik verstecken, die eher Zustimmung als Ablehnung signalisiert.

Notwendig sind nicht humanitäre Korridore, sondern der endgültige Stopp der Waffen, die Öffnung der Übergänge, um all die Tunnel überflüssig zu machen, durch die nicht nur Waffen, sondern vor allem die notwendigsten Lebensmittel zum nackten Überleben geschleust wurden. Wer sein Leben frei und in Würde selbst gestalten kann, wird keine Selbstmordattentäter über die Grenze schicken. Die Formel für die Sicherheit Israels heißt nicht »Nieder mit Hamas«, sondern »Freiheit für Gaza«.

Welche Hoffnungen auf Frieden und Sicherheit waren mit dem Abzug der israelischen Siedler und Armee aus dem Gazastreifen verbunden? Es gab freie Wahlen mit einem Ergebnis, welches die Palästinenser so wollten – nicht aber Israel, die EU und die USA. Diese »zivilisierten« Staaten traten ihre eigenen Prinzipien mit Füßen und machten das Selbstbestimmungsrecht zur Farce. Damit begann das, was das palästinensische Volk heute als erneute Tragödie durchlebt. Und nach dem Schweigen der Waffen wird man wieder vor der alten Frage stehen, wie der Frieden zwischen den beiden Völkern dauerhaft gesichert werden kann. Und es wird wieder nur einen Weg geben: Verhandlungen.