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László Sólyom weigert sich wieder

Die Begriffsstutzigkeit des ungarischen Staatspräsidenten treibt neue Blüten

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.
Ungarns konservativem Staatspräsidenten László Sólyom scheint der Stil der autoritären 30er Jahre nahezustehen.

Wiederholt hat László Sólyom dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er sich weigert, Gesetze zum Schutz von Minderheiten oder Verfolgten zu unterzeichnen, Stattdessen leitet er sie zur Normenkontrolle an das ebenfalls konservativ dominierte Verfassungsgericht weiter. Derzeit geht es um das seit einem Jahrzehnt heiß umstrittene und umkämpfte Gesetz zur »Fernhaltung wegen Gewalt zwischen Angehörigen«.

Wie in anderen Ländern üblich, sieht dieses Gesetz vor, dass gewalttätige Personen durch die Polizei oder das Zivilgericht aus einer gemeinsam mit Angehörigen genutzten Wohnung ausgewiesen werden können. Die Rechtsvorschrift hatte das ansonsten heillos zerstrittene ungarische Parlament überraschenderweise ohne Gegenstimme, mit lediglich vier Stimmenthaltungen passiert. Trotzdem ließ Staatspräsident Sólyom wissen, dass er das Gesetz unbrauchbar findet.

Seiner Meinung nach definiert das Gesetz den Begriff Gewalt zu allgemein, wenn es über eine die Würde, das Leben, das Recht zur sexuellen Selbstbestimmung, ferner die körperliche und seelische Gesundheit schwer und unmittelbar oder regelmäßig gefährdende Tätigkeit spricht. Außerdem beschränke es die freie Wahl des Aufenthaltsortes in unverhältnismäßiger Weise und stehe im Gegensatz zur verfassungsmäßig gewährleisteten Bewegungsfreiheit. Auch hält der Staatspräsident die im Gesetz ebenfalls verwendete Kategorie der »nicht zusammenlebenden aber in inniger Beziehung stehenden Personen« für einfach unbegreifbar. Deshalb erachtet er in solchen Fällen eine Fernhaltung für unmöglich.

Viel Gutes kann man vom Verfassungsgericht in dieser Angelegenheit nicht erwarten. Vor wenigen Wochen erst hat es ein anderes, eben beschlossenes Gesetz annulliert, das die Institution der eingetragenen Verbindung von Lebensgefährten in Ungarn schaffen soll. Zur Begründung heißt es, der verfassungsmäßige Schutz der Ehe lasse es nicht zu, dass der Staat auch eine der Ehe sehr ähnliche Institution schützt.

Der sozialdemokratische ungarische Regierungschef Ferenc Gyurcsány kommentiert die Entwicklung in seinem Internetblog mit eindeutiger Klarheit: In Ungarn ist ein neuer konservativer Fundamentalismus in Entfaltung begriffen, der die Freiheit der Bürger und die weltanschauliche Neutralität des Staates bedroht, indem er bestimmten Personengruppen unter Berufung auf Traditionen Rechte verweigert.

Vor etwa einem Jahr hatte László Sólyom sich geweigert, ein anderes Gesetz zu unterzeichnen. Damals ging es um den ohnedies schwachen Versuch, Hetzreden gegen nationale oder ethnische Minderheiten, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen und sexuelle Identitäten unter Strafe zu stellen (ND berichtete).

Aber nicht nur juristisch tut sich der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs mit den Rechten der Minderheiten schwer. Als die gefürchtete Ungarische Garde die Roma regelmäßig terrorisierte, mussten drei Ombudsmänner des ungarischen Parlaments Sólyom massiv dazu drängen, Wochen später wenigstens am Tag der Menschenrechte seinen Standpunkt zur Ungarischen Garde darzulegen. Danach vergingen weitere Wochen, bis er Vertreter der Roma-Minderheit zu empfangen geruhte. Seitdem ist Schweigen.

Es drängt sich die Frage auf, wann die oberste gesellschaftliche Elite Ungarns endlich anerkennt, dass kein Recht der Welt die Gewalt, und wenn sie sich auch hinter verschlossenen Türen abspielt, salonfähig machen kann.

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