»Ich bin hier, um über ein Massaker zu sprechen …«

Yonatan Shapira, ein ehemaliger Hubschrauberpilot der israelischen Luftwaffe, steht im Kampf für den Frieden im Gaza-Streifen

  • Susann Witt-Stahl, Tel Aviv
  • Lesedauer: 3 Min.
Die israelischen Medien verkünden, es gebe eine breite Unterstützung in der jüdischen Bevölkerung Israels für den Krieg gegen Gaza. Selbst wenn das so sein sollte – es gibt Israelis, die den Krieg verurteilen und dies auch öffentlich artikulieren.
Anti-Kriegs-Aktivist Yonatan Shapira. Er steht auf der Straße, damit das Zerbomben von Häusern wie hier in Gaza-Stadt aufhört (unten).
Anti-Kriegs-Aktivist Yonatan Shapira. Er steht auf der Straße, damit das Zerbomben von Häusern wie hier in Gaza-Stadt aufhört (unten).

Jeden Morgen das gleiche Ritual: Der Blackhawk-Flieger a. D. Yonatan Shapira zieht mit einer Gruppe von 15 bis 20 israelischen Kriegsgegnern zu dem Militärflughafen Sde Dov im Norden Tel Avivs.

An der Zufahrtsstraße zu dem streng bewachten Armeegelände bilden die Friedensaktivisten ein Spalier. Sie halten Schilder hoch mit Aufschriften wie »Stoppt die Kriegsverbrechen!« und »Ob in Sderot oder in Gaza: Die Kinder wollen leben«.

Keiner der Passanten – viele von ihnen Soldaten auf dem Weg zum Dienst – zeigt Verständnis für die Proteste. Im Gegenteil: Die Kriegsgegner müssen sich wüste Beschimpfungen anhören. »Ihr seid Müll«, brüllt ein Angehöriger der IDF (Israel Defense Forces) aus seinem Wagen heraus. »Ab mit euch, auf den Gaza-Streifen!«

Die Friedensaktivistinnen werden hart attackiert. »Araberhure!« ist längst nicht die übelste Beleidigung, die sich die Frauen anhören müssen. Ein Soldat reißt einer Kriegsgegnerin ihr Plakat aus der Hand und schmeißt es wütend auf den Boden. Ein Gegendemonstrant schwenkt die israelische Nationalfahne; ein anderer trägt ein Plakat »Vorwärts , IDF!«

Ein Stein fliegt in die Richtung von Yonatan Shapira und den anderen Friedensaktivisten. Aus der benachbarten Feuerwache werden Wasserschläuche auf die Gruppe gerichtet. Von dem Hochdruckstrahl werden nicht nur die Demonstranten bis auf die Haut durchnässt – es trifft auch einige Polizisten, die bisher dem Treiben mit verschränkten Armen zugeschaut haben. Warum lässt ein ehemaliger Angehöriger der IDF-Elite, die in Israel als Helden verehrt wird, all diese Demütigungen über sich ergehen? »Aus Scham, aus Wut«, sagt Shapira mit ruhiger und fester Stimme.

»Als meine Großmutter in Treblinka ermordet wurde, hat die ganze Welt geschwiegen. Ich betrachte es als meine Pflicht, auf das Leiden der Menschen in Gaza aufmerksam zu machen.« Viele der Luftwaffen-Angehörigen, die hier vorbeifahren, so Shapira, werden in den nächsten Tagen Zivilisten bombardieren. »Ich möchte den Soldaten die Resultate ihres Handelns vor Augen führen und sie daran erinnern, dass es einen Ausweg gibt: Sie können verweigern«, erklärt der 36-Jährige, der ein Schild mit Fotos von palästinensischen Kriegsopfern und der Aufschrift »Zirkel der Gewalt – du bist ein Teil davon« in Händen hält.

Shapira weiß, wovon er redet: Als Captain der IDF-Luftwaffe flog er Einsätze über der Westbank, dem Gaza-Streifen und über Südlibanon, auch Kampfeinsätze.

Vor allem die hohe Anzahl an zivilen Opfern stürzte den Soldaten in Gewissensnot. 2003 initiierte er eine Deklaration, in der er und weitere 26 israelische Luftwaffen-Piloten Kampfeinsätze in den besetzten Gebieten verweigerten. 2005 gründete er die israelisch-palästinensische Veteranenorganisation Combattants for Peace mit.

Als Shapira 2003 die Armee nach acht Jahren Dienst – drei davon in der Reserve – verließ, war sein Leben fortan von Schikanen und sozialer Ausgrenzung bestimmt. Er flog für die zivile Airline Aeropower. Aber sein Chef ließ es sich nicht nehmen, den »Verräter« zu feuern, als er von Shapiras Engagement erfuhr. »Allerdings nicht, bevor ich ihn zum Piloten ausgebildet hatte«, berichtet Shapira lächelnd.

Aber das alles hat er längst hinter sich gelassen. Heute lebt er in den USA und arbeitet wieder als Helikopterpilot. »Solange Israel mehr als eine Million Menschen in einen Käfig sperrt, ist es keine echte Demokratie«, findet der überzeugte Vegetarier. »Und solange Zionismus Landraub und Kolonialismus bedeutet, bin ich definitiv kein Zionist.«

Aber von Begriffen wie »Zionist« und »Antizionist« hält Shapira nicht viel. »Ich bin hier, um über ein Massaker zu sprechen.« In einigen Tagen wird er in die USA zurückkehren. Dort will er weiter gegen den Gaza-Krieg protestieren: »Es ist jetzt vor allem wichtig, seine Stimme im Zentrum des Imperiums zu erheben.«

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