Die Last der Erinnerung

Tanzcompanie Rubato zeigt in der Halle die Uraufführung »3 men running«

  • Karin Schmidt-Feister
  • Lesedauer: 3 Min.
Dieter Baumann, Marc Rees und Guillermo Weikert-Molina im Generationenkonflikt
Dieter Baumann, Marc Rees und Guillermo Weikert-Molina im Generationenkonflikt

In Großaufnahme besingt ein alter Mann von der Filmleinwand seine Hoffnung, »einmal von dir geliebt zu werden«. Dann stopft er sich seine Pfeife und schaut mit unbewegtem Gesicht in die Kamera. Seine unerfüllte Hoffnung richtet sich an den Sohn. Im Publikum ist es während dieser Schlusssequenz so still, als würde in jedem Zuschauer ein eigener Film ablaufen – denn der Tod der eigenen Väter ist Thema dieses leisen Abends in der Tanzbühne Halle.

Dieter Baumann (Berlin), Marc Rees (Wales), Guillermo Weikert-Molina (Spanien), drei Männer im besten Alter, wuchten in »3 men running« der Kompanie Rubato grüne Teppichrollen über die quadratische Tanzfläche, flankiert von einer langen Holzbank mit gekennzeichneten Dingen aus der Asservatenkammer. Sie tragen an der Last der Erinnerung. Auf der Hinterwand flackern Schwarz-Weiß-Fotos von lachenden Jungs und jungen Männern. Die ausgebreiteten Teppiche – 2 mal 2 Meter Kunstrasenstücke – sind der Raum, der in der folgenden Stunde immer wieder neu platziert, betreten und beackert werden wird.

Drei Männer, drei Annäherungen an die verlorene Vätergeneration. In der Regie von Jutta Hell und ihren Choreografen wechseln die Darsteller im Zusammenklang mit Kostüm, Video, Text und stimmig atmosphärischem Sound beständig die Perspektive. Söhne erinnern ihrer Väter und stehen doch selbst in der Zeit, zeigen Bruchstücke gelebter Existenzen. Mit langsam federnden Bewegungen, die dem Fall widerstehen möchten, gibt Dieter Baumann das Thema vor: er trägt ein zu großes Jackett, dessen Taschen leer sind.

Einer zieht sich derweil den Blaumann an, legt sich unter das Rasentuch. Der Andere vibriert in ganzkörperlichem Sprung. Der Dritte läuft an den Kanten seines Lebens-Raumes wie ein ängstliches Tier. Es sind Momente des Umgangs mit dem eigenen Verlöschen. Die Protagonisten rennen barfuß in hellen Hosen, weißen T-Shirts und flotten Schiebermützen um die Erinnerungsflächen, während auf einem Video im Hintergrund ein alter Mann in Latzhose im Garten werkelt und Stein auf Stein setzt. Für einen Moment bleiben die Getriebenen stehen, der Alte baut unbeirrt weiter. Das ist eine der spannenden Zeit-Schnittstellen. Doch rennen sie weiter und der Vorgang kippt ins Lapidare.

So genau viele der Szenen an diesem Abend auch gearbeitet sind – die Metaphorik des Rennens bleibt Behauptung, erschließt sich nicht. Eine großartig verknappte Szene für das Vergehen der Zeit in der Generationenfolge entsteht hingegen, wenn das Trio plötzlich innehält, shake-hands, Umarmungen, Hallos, Berührungen des Trostes wie der Freundschaft andeutet und gleichzeitig die Silhouetten dieser Bewegungsfolge im großen Schattentrio gespiegelt werden. Ein Teil der Gesten geht gewollt ins Leere, denn der Adressat fehlt.

Dieses interessante Oszillieren von Gegenwart und Vergangenheit gelingt auch im Umgang mit dem Kostüm. Guillermo Weikert-Molina steht in seinen offenen Stiefeln und Jackett fest auf zwei Beinen, während sein Oberkörper eruptiv geschüttelt lange dem Sturm widerstehen kann. Ein Kerl wie ein Baum, von dem nur die Stiefel übrig bleiben. Die versetzte Aktion von genau kalkulierter und minimierter zeichenhafter Bewegung und ihrer visuellen Spiegelung schafft mehrfach eine Irritation der Zeitabläufe. »3 men running« erzeugt eine fragende Spannung im Umgang der Hinterbliebenen und der Verstorbenen. Aber vor allem ist es ein behutsam bewegendes Fragen nach dem Umgang der lebenden Generationen.

14.-18. Januar, 20 Uhr, HALLE Tanzbühne, Eberswalderstraße, Tickets 44 04 42 92, weitere Informationen im Internet unter www.halle-tanz-berlin.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal