Rockender Friseur gekündigt

Stadtsanierung á la Hamburg: Szenefigaro soll weg

  • Lesedauer: 3 Min.
Jahrelang hat er in einem Sanierungsgebiet ausgeharrt, jetzt soll er den Abrissbaggern weichen. In Hamburgs historischem Gängeviertel ist Friseurmeister JAN HELMERS (58), der mit einer Liebhaberband gerne Songs von den Rolling Stones rockt, eine Institution. Aber für die Bauplaner spielt das offenbar keine Rolle. Die Stadt Hamburg möchte das Quartier aus dem 17. Jahrhundert nach dem Vorbild der Hackeschen Höfe in Berlin komplett umgestalten. Im August 2008 fand die Stadt die niederländische Gruppe Hanzevast, die das Viertel für 50 Millionen Euro aufmöbeln will (ND berichtete). Die kündigte jetzt dem rockenden Friseur: Er soll bis Ende März seinen Laden und bis September seine Wohnung räumen. ND-Autor RENÉ GRALLA fragt nach.
Der Rebellenfriseur will gegen die Kündigung kämpfen
Der Rebellenfriseur will gegen die Kündigung kämpfen

ND: Wie wird die Kündigung begründet?
HELMERS: Mit der geplanten Sanierung des Gängeviertels. Bis auf die Außenfassade wird das Haus, in dem ich seit über 30 Jahren mein Geschäft führe, komplett abgerissen.

Bietet Ihnen der Investor keinen neuen Laden im dann sanierten Gebäudekomplex an?
Nein. Angeblich ist es Hanzevast aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, mich weiter als Mieter zu dulden. Die rechnen mir eiskalt vor, dass es auf lange Zeit nicht möglich sei, für mich die Miete von aktuell knapp fünf Euro auf 13 Euro pro Quadtratmeter anzuheben. 13 Euro braucht Hanzevast angeblich, um das Projekt wirtschaftlich durchzuführen. Künftig sollen im Gängeviertel allein gastronomische Betriebe Platz finden. So wird meine Existenz den Profitinteressen des Investors geopfert.

Ist die Kündigung nicht aber das übliche Geschäftsrisiko, das Sie als Betreiber eines Friseursalons nun mal tragen?
Nein. Das ist kein einfaches Ladengeschäft, weil dazu eine Wohnung gehört. Hanzevast behauptet, ich würde hier gar nicht wohnen, sondern bei meiner Lebensgefährtin in Hamburg-Altona. Die ist sehr überrascht zu erfahren, dass sie in Altona leben soll, das hat sie nämlich selber nicht gewusst. Und die Leute von Hanzevast können sich gerne jeden Abend vor das Haus stellen und kontrollieren, ob ich hier übernachte – was ich tue.

Welche Auswirkungen hat die Kündigung für Sie?
Auf einen Schlag verliere ich meine Existenzgrundlage: Laden, Wohnung und Gitarren-Übungsraum im Keller! Hanzevast nimmt in Kauf, dass ich wirtschaftlich ruiniert und obdachlos werde.

Was werden Sie unternehmen?
Ich habe einen Anwalt beauftragt, juristisch gegen die Kündigung vorzugehen. Ich wohne und arbeite hier 30 Jahre, so einfach lasse ich mich nicht rauswerfen.

Seit Jahren sind Baugerüste vor Ihrem Laden, die Umsätze sind in den Keller gerauscht. Sie haben an Bürgermeister Ole von Beust und das Bezirksamt geschrieben. Reaktionen nach der Kündigung?
Enttäuschend ist, dass mir gegenüber lange der Eindruck erweckt worden ist, ich würde einen Platz im sanierten Gängeviertel finden. Offenbar hat man mich hinhalten wollen. Immerhin hat mich Bezirksamtsleiter Markus Schreiber angerufen und versichert, es wäre ihm »sympathisch«, wenn ich nach dem Umbau wieder ein Geschäft im Viertel eröffnen könnte. Er will entsprechend bei Hanzevast intervenieren.

Lehnen Sie die Sanierung des Gängeviertels grundsätzlich ab?
Ich sperre mich nicht gegen die Sanierung. Aber nicht auf meine Kosten! Ich erwarte, dass sich die Stadt an ihre Zusagen hält. Bürgermeister und Bezirksamt müssen ihren Einfluss geltend machen, damit mir die Holländer eine Ladenfläche anbieten und helfen, dass ich die Zeit der Baumaßnahmen überbrücke. Oder ich kriege eine angemessene Entschädigung und eröffne einen neuen Salon.

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