Braun und bitter wie Kaffee: Werbung mit einem KZ-Spruch

Tchibo und Esso fanden nichts bei »Jedem das Seine« und denken nicht an eine Entschuldigung. Leider kein Einzelfall!

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Tchibo und Esso lockten an 700 Tankstellen mit dem Spruch »Jedem den Seine«. Sie meinten Kaffee. Die Nazis hatten den historischen Spruch pervertiert und an das Tor zum KZ Buchenwald geschmiedet.

Dumm oder frech? Mehr Deutungen sind kaum möglich. Tchibo-Sprecherin Angelika Scholz erklärte, das Unternehmen habe »nie die Absicht gehabt, Gefühle zu verletzen«. Sie räumte wie bereits in der »Frankfurter Rundschau« ein, dass der Slogan »unglücklich« gewählt ist. Die Plakate sollten »im Laufe des Tages« überall abgehängt werden und am Donnerstag verschwunden sein. Doch zu einer offiziellen Entschuldigung sah sich Tchibo auch durch einen ND-Anruf nicht herausgefordert. Konsequenzen im Konzern? Im PR-Bereich ist davon nichts bekannt.

Ebenso reaktionslos bleib Esso. Dessen Sprecher Olaf Martin bemerkte zu dem – was Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, eine »nicht zu überbietende Geschmacklosigkeit« nennt –, dass die vom Mineralölkonzern beauftragte Werbeagentur die historische Bedeutung des Satzes nicht erkannt habe. Er vergisst zu erwähnen, dass auch die Auftraggeber offenbar unwissend oder geschmacklos genug waren, um den Spruch als marketingtauglich abzusegnen.

Nun ist es nicht so, dass engagierte Werbemacher nicht wissen können, welche »Nebenwirkung« der Spruch entfalten muss. Selbst wenn dessen Ursprung Jahrtausende zurückliegt. Zum Schlagwort wurde das »Suum cuique!« ab 533 durch den oströmische Kaiser Justinian und seine Rechts- und Gerechtigkeitsprinzipien. Perfide wie ihr Denken und Handeln war, verhöhnten die KZ-Aufseher auf dem Ettersberg mit diesem Spruch alle rechtlosen Neuankömmlinge. Letzteres nicht zu wissen, offenbart eine erschreckende Geschichtslosigkeit im Geiste. Sie erklärt sich vermutlich nicht nur durch das bundesdeutsche Schulsystem. Das Tchibo-Image »Jede Woche eine neue Welt« widerspiegelt eine Juppi-Haltung, die Raum greift und in dem ethische Werte und moralische Konventionen kaum Bestand haben.

Doch selbst wenn das so ist, es gibt im Werbesektor genügend Hinweise darauf, dass »Jedem das Seine« höchst untauglich ist für Profitplus. In einem Prospekt titelte der Handelsriese REWE in einem Prospekt: »Grillen: Jedem das Seine«. Das Unternehmen entschuldigte sich öffentlich. Microsoft machte mit, Nokia warb so für Handy-Gehäuse, Burger King für Fastfood, auch die Münchner Merkur-Bank kam ins Gerede. Und wer glaubt, dass man im politischen Berlin und den Medien gefeit ist vor solchen Skandalen, sieht beim Blättern in der Zeitung des Bundestages »Das Parlament«seinen Irrtum ein. Unter der Überschrift »Jedem das Seine« hat man da beispielsweise das Jahressteuergesetz 2008 erklärt.

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