Parteien recyceln ihre Programme

Hessische Wähler stehen am Sonntag vor den gleichen Alternativen wie schon 2008

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Als sich Hessens Landtag am 18. November selbst auflöste, blieb den Parteien wenig Zeit für eine lange Debatte über Personal und Programm. So übernahmen sie in weiten Teilen inhaltliche Aussagen der alten Wahlprogramme und passten sie den aktuellen Gegebenheiten an.

Es ist der kürzeste Wahlkampf in der hessischen Nachkriegsgeschichte, der übermorgen zu Ende geht. Dem Wähler, der sich mit den Wahlprogrammen von CDU, SPD, FDP, Grünen und LINKEN beschäftigt, präsentiert sich deshalb vornehmlich Altbekanntes und Vertrautes. CDU, FDP und auch SPD setzen etwa auf den Ausbau der Flughäfen Frankfurt und Kassel-Calden und einen Lückenschluss bei Autobahnen A 44, A 49 und A 66 sowie weitere Straßenausbauprojekte und Umgehungsstraßen. Grüne und LINKE präferieren hingegen einen verstärkten Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und wollen den Straßenbau auf die Sanierung bestehender Straßen konzentrieren. Die LINKE fordert einen Verzicht auf die Privatisierung der Bahn und preiswerten Nahverkehr mit einer HessenCard. Grüne und LINKE sind Gegner eines Flughafenausbaus. Insbesondere FDP und CDU haben sich dieses Projekt auf die Fahnen geschrieben und argumentieren, der Ausbau des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens entspräche einem milliardenschweren Konjunkturprogramm. Das Thema hatte schon bei der Verhinderung der geplanten Abwahl des amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) Anfang November eine zentrale Rolle gespielt; damals hatte der Aufsichtsrat des Flughafenbetreibers Fraport in einer Resolution auf Antrag des Betriebsratschefs und CDU-Mitglieds Peter Wichtel vor einer Wahl der SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin gewarnt, weil SPD und Grüne in ihrem frisch ausgehandelten Regierungsprogramm vor der Inangriffnahme der Baumaßnahmen für eine neue Startbahn die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über Einwände von Ausbaugegnern abwarten wollten.

In der Bildungspolitik setzen vor allem SPD und LINKE auf Ganztagsschulen, mehr gemeinsames Lernen bis zum 10. Schuljahr und Abschaffung der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre. CDU und FDP hingegen wenden sich strikt gegen ein gemeinsames Lernen bis Klasse 10 und wollen das dreigliedrige Schulsystem beibehalten. Koch hat angekündigt, er wolle die von einer Mehrheit aus SPD, Grünen und LINKEN im vergangenen Sommer abgeschafften Studiengebühren nicht wieder einführen, denn es sei nicht ratsam, »zweimal mit dem gleichen Kopf vor die gleiche Wand zu rennen«.

Bei der FDP, die als Kochs Wunschpartner gilt und eine rein bürgerliche Regierungskoalition anstrebt, hatten die Jungen Liberalen durchgesetzt, dass es keine Erststudiengebühren geben solle. Bislang war die FDP dafür eingetreten, die Entscheidung über Gebühren den Hochschulen zu überlassen.

Während das (nicht zum Tragen gekommene) Regierungsprogramm von SPD und Grünen einen Verzicht auf weitere Privatisierungen von landeseigenen Betrieben vorgesehen hatte, wagen sich die Liberalen in dieser Frage naturgemäß am weitesten aus der Deckung. In ihrem Programm bekennen sie sich zur Veräußerungen der Landesanteile bei der Fraport, der Messe Frankfurt, der Wohnbaugesellschaft Nassauische Heim- stätte, der Hessischen Staatsweingüter und der Hessischen Landesbahn. Hierzu schweigt das CDU-Programm diplomatisch – vielleicht mit Rücksicht darauf, dass Privatisierungen auch bei potenziellen CDU-Wählern nicht mehr so populär sind wie früher.

CDU und FDP bekennen sich allerdings klar zur Atomkraft, während SPD, Grüne und LINKE den Atomausstieg und die Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis fordern. Anfang 2008 hatte Roland Koch, den drohenden Absturz seiner CDU vor Augen, mit einer Kampagne gegen Jugendkriminalität und für die Abschiebung krimineller Jugendlicher aus Migrantenfamilien verzweifelt zu punkten versucht. Diesmal verkneift er sich solche – ebenso durchschaubaren wie hohlen – Phrasen und präsentiert sich als Staatsmann, der »um jeden Arbeitsplatz kämpfen« wolle. Dabei hatte die von der Regierung Koch 2003 initiierte »Operation Sichere Zukunft« einen massiven Kahlschlag bewirkt und laut DGB-Angaben den Verlust von rund 18 000 Arbeitsplätzen im Lande zur Folge.

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