Möglichkeiten, nicht Gewissheiten

Kritik und Hoffnung: Obama und wir

  • Ekkehart Krippendorff
  • Lesedauer: 6 Min.

Zum ersten Mal seit Jahren, vielleicht seit Jahrzehnten gibt es so etwas wie Hoffnung auf der Bühne der internationalen Politik, berechtigte Hoffnung, denn der »Ruck«, der durch die US-Gesellschaft gegangen ist, der eigentlich realistischerweise unerwartete Erfolg einer demokratischen Massenbewegung und -mobilisierung, der wird nicht ohne mittel- und langfristige Folgen bleiben.

Das schließt kurzfristig eine pragmatische Kontinuität in der Komposition der amerikanischen politischen Klasse nicht aus: Wenn dieser Präsident wirklich etwas bewegen und nicht an der eingefahrenen Maschinerie der Washingtoner Bürokratie und den parlamentarischen Strukturen idealistisch scheitern will, dann muss er zunächst einmal mit Profis arbeiten, die das politische Geschäft verstehen, die wissen, wie man mit Institutionen, mit dem Behördenapparat und einer komplizierten Gesetzgebungsmaschinerie umgeht, und die ihm den Rücken freihalten können, um über die magischen »100 Tage«, um nicht zu sagen: die ersten beiden Jahre unbeschädigt hinauszukommen.

Einige der pragmatischen personalpolitischen Entscheidungen, die viele seiner Anhänger verstört haben, würden missverstanden, wenn man sie bereits als erste Anzeichen des Einknickens vor dem alten Establishment und als Verrat der großen Wahlversprechen (»Change!«) interpretierte – man kann sie, im Gegenteil, als Beweis dafür sehen, dass er es ernst meint mit seiner neuen Politik, dass er diese und sich selbst weniger angreifbar macht, um eine vorhersehbar kontroverse, konfliktreiche Wende der US-Politik einzuleiten.

Wie reagiert die deutsche Linke? Wobei hier die Linke nicht parteipolitisch, sondern als jenes außerparlamentarisches Spektrum gemeint ist, das als Friedens-, Ökologie-, Antimilitarismus-, Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung noch immer erfreulich lebendig ist und zuerst der alten Bundesrepublik, dann dem heutigen Deutschland den stolzen Namen der »Bewegungsrepublik« eingetragen hat.

In Sachen Obama scheint sie überwiegend skeptisch bis pessimistisch zu reagieren – hinsichtlich der Chancen und Möglichkeiten eines Wandels zum Besseren: Was die bürgerlichen Medien da über dessen neue Politik behaupten, sei ja alles ganz gut und schön – aber ... Man müsse doch sehen, dass die realen Interessen der USA, dass der weltweit operierende Militärapparat mit seinen Stützpunkten in allen Kontinenten nicht abgebaut werde, dass der Imperialismus und die kapitalistischen Interessen mächtiger seien als ein einzelner gutwilliger Mann im Weißen Haus, dass ohne eine radikal andere Gesellschaftspolitik (gemeint ist: ohne eine Revolution) keine Aussicht auf eine substanziell andere als die bisherige Außenpolitik bestünde; alles andere sei illusionär, Wunschdenken.

Nun mag an jedem der Kritikpunkte etwas Wahres sein; ja, es ist sehr wahrscheinlich, dass die »Obamania« einer realpolitischen Enttäuschung weichen wird – es mag sein. Es mag aber auch nicht sein. Es mag auch sein, dass während dieses unvergleichlich langen und intensiven Wahlkampfs eine basisbewegte Dynamik und gesellschaftliche Energie freigesetzt wurde, die dem anderen so massenwirksamen Appell »Yes, we can!« , angetrieben vom weitverbreiteten und tiefsitzenden Krisenbewusstsein aller Gesellschaftsschichten, den Boden fruchtbar gemacht hat für die Akzeptanz radikaler neuer Antworten und von Opferbereitschaft an Lebensstandard und Lebensweise: »Ja, wir können es schaffen.« Mit einem Präsidenten Obama öffnet sich das, was so trefflich auf englisch »the window of opportunities« heißt, das Fenster der Möglichkeiten. Möglichkeiten – keine Gewissheiten.

Die deutschen außerparlamentarischen Bewegungen, die demokratischen Verwandten der amerikanischen Obama-Enthusiasten scheinen dieses Fenster der Möglichkeiten nicht zu sehen und darum auch nicht nutzen zu wollen. Skepsis ist bei ihnen angesagt, Abwarten, realpolitische Resignation. Die historischen Erfahrungen unserer Generation geben wahrlich genügend Anlass zu Pessimismus bis Zynismus hinsichtlich der Korruption von Befreiungs- und demokratischen Reformbewegungen an der Macht. Und doch ist eine solche Haltung für eine pazifistische, sozial-radikale Linke tödlich, ein defätistischer Widerspruch politischer Identität.

Denn worin besteht diese spezifische Identität, wenn nicht in dem unübertrefflich formulierten 68er Selbstverständnis: »Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche.« Ohne die realistische Perspektive des Unmöglichen gibt sie sich auf, noch ehe sie für ihre Ziele zu kämpfen begonnen hat.

Da wird beispielsweise noch immer (gottseidank!) in Broschüren und Flugblättern die »Abschaffung der Bundeswehr« gefordert, die »Auflösung der NATO« oder doch wenigstens der »Austritt Deutschlands aus der NATO« – wenn das keine unrealistischen, aber eben doch (»Yes, we can«) realisierbaren Forderungen sind! Aber nur eine solche Bewegung kann sie halbwegs glaubwürdig aufrechterhalten, die nicht nur von der prinzipiellen Notwendigkeit, sondern auch von der Möglichkeit ihrer Verwirklichung überzeugt ist – selbst wenn die eigene Lebenszeit dazu nicht ausreichen wird. Ohne den Mut zum Optimismus geht es nicht – ohne ihn hätten die vielen hunderttausenden Obama-Aktivisten es nicht durchgehalten, gegen alle Wahrscheinlichkeiten ihrem Mann den Wahlsieg zu erkämpfen. Gleichwohl ist damit noch nichts wirklich gewonnen: Als Präsident wird er mit Sicherheit scheitern, wenn er eben die kritisch-solidarische Unterstützung nicht nur seiner US-amerikanischen Wähler, sondern auch die seiner weltweiten, seiner europäischen und damit auch seiner deutschen Sympathisanten verliert. Oder umgekehrt: Eine erfolgreiche politische Wende kann es nur dann geben, wenn eine lautstarke internationale Solidarität Obama ständig an seine Wahlversprechen erinnert, indem sie sich selbst in Bewegung setzt.

Auf das deutsche politische Establishment und vor allem seine Parteien jeder Couleur wird schon seit Jahren von unten, von der Basis, ebenso wie vom intellektuellen Lager kein ernsthafter Druck ausgeübt, auf die Weltkrisen strategisch-innovativ anstatt nur taktisch-reaktiv zu reagieren. Sie werden weitgehend in Ruhe gelassen – wer will schon gegen eine profillose Angela Merkel auf die Straße gehen. Der Bürgerprotest gegen die versteinerten Verhältnisse besteht bestenfalls aus Politikverweigerung: Man geht nicht mehr zur Wahl. Und unsere außerparlamentarische Linke scheint vor lauter kritischer Realitätsfixiertheit die für einige Monate, vielleicht sogar für ein bis zwei Jahre in den USA sich bietende Chance des geöffneten Fensters der Möglichkeiten nicht wahrzunehmen: Man muss sich schon sehr anstrengen, um Anzeichen für eigene Bewegungen in Richtung auf eine große öffentliche Debatte über politische Antworten auf die großen, von der Finanzkrise nur verschärften, aber nicht verursachten Herausforderungen (Klima, Energie, Demographie, Ernährung) zu entdecken. Aber wenn das nun schon so ist: Warum dann nicht die »amerikanische Chance« wahrnehmen?

Ist Europa, sind wir eine müde, resignative, defensive Gesellschaft geworden, während die amerikanische ihre von den vielen »Bush-Regimen« der letzten vierzig Jahre unterdrückte Vitalität und kreative Dynamik wiederzuentdecken begonnen hat? Die Person und die Familienbiografie Barack Obamas, der eben historisch kein Afro-Amerikaner, im traditionellen amerikanischen Sinne kein »Schwarzer« als Sklavennachkomme ist, ist als Präsident ein Ereignis von, man darf es durchaus so nennen, welthistorischer Bedeutung – so wie eben die USA historisch kein normaler Staat wie andere sein sollten, sein wollten und es auch seit diesem Jahreswechsel 2008/09 demonstrativ nicht, oder doch etwas weniger sind. Das, und nicht ein quasi-staatliches Europa als dritte oder vierte oder wie auch immer militärisch-ökonomische Großmacht ist eine Perspektive, für die parallel zur amerikanischen Wiederentdeckung ihrer anderen Geschichte sich zu engagieren lohnt.

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