Walter Kaufmann: Ich war fünfzehn

Von fern schon hatte ich das Bündel auf der Bank beim Märkischen Ufer wahrgenommen. Das war am Sonntagmorgen gewesen, der kalt und frostig war, mit einem Himmel hoch und blau überm Fernsehturm und Rotem Rathaus. Züge donnerten über die Geleise der Jannowitzbrücke, ich schritt schnell aus zum Bahnhof hin, dann aber stockten meine Schritte, als ich erkannte, in dem Bündel regte sich etwas: ein Obdachloser hatte sich im Schlafsack eingeigelt, unter der Bank seine Stiefel abgestellt – dass man ihm die nicht stiehlt, hoffte ich. Ein Schuldgefühl hatte mich erfasst – der arme Kerl ... in dieser Kälte. Ein Bote der Zeit, wie mir schien, Vorbote des Jahres 2009 – Bankenkrise, Finanzkrise, Weltwirtschaftskrise, zunehmende Armut ...

Fast auf den Tag, siebzig Jahre zurück, lag auch ich eingeigelt – nicht im Freien zwar, und nicht in einem Schlafsack, sondern unterm Wintermantel auf der Pritsche eines Schlafsaals für Obdach...


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