»Ich tue, was ich muss«

Heute wäre der Regisseur, Maler, Schriftsteller Einar Schleef 65

  • Lesedauer: 7 Min.

Das Interview auf dieser Seite ist ein unveröffentlichtes. Eine Art Gesprächsfetzen, erinnernd an den großen Regisseur, Bühnenbildner, Erzähler, Tagebuchschreiber Einar Schleef (1944 bis 2001). Geführt wurde das Interview von Klaus Pfützner und Hans-Dieter Schütt im Jahre 1993, das Westberliner Schiller Theater war geschlossen, Schleef (Foto: dpa) hatte lange, aber vergeblich an einem »Faust«-Projekt geprobt, und wieder einmal geriet ihm Arbeit zu dem, was sein Leben immer war, in der harten kurzen Ewigkeit seiner Kunstausübung: Konflikt, Kampf, Gewaltstück. Seine Kunst, im besten Sinne also seine Art – sie verfeindete, und in den zivilisatorischen Zusammenhängen zerstieß sie alles Verfeinerte. Grob knallte Schleef seine deutschen Wahrheiten, immer Kriegswahrheiten, auf die Bühnen: Berliner Ensemble, Schauspiel Frankfurt, Burgtheater Wien, Deutsches Theater Berlin.

1944 wurde er in Sangerhausen geboren, 2001 starb er einsam in einem Berliner Krankenhaus; das Herz. Dazwischen: herzentfesselte Unbedingtheit beim Inszenieren und Schreiben, Schleef kannte keine Wohltemperiertheit, »Fräulein Julie«, »Mütter«, Wessis in Weimar«, »Sportstück«, »Puntila und sein Knecht Matti«, »Verratenes Volk« – Inszenierungen wie dröhnende, operndunkle, hochrituelle Kollektivbilder. Es gilt nicht das geschriebene Wort, es gilt der geschrieene Chorus.

Elfriede Jelinek schrieb, das Nachkriegsdeutschland habe nur zwei Genies hervorgebracht, im Westen Rainer Werner Fassbinder, im Osten Schleef. Der Sangerhausener hat den einzelnen Menschen, der sich einst emanzipatorisch aus dem Chor löste, im wahren Sinn des Wortes heimgeholt in die Kollektiv-Bilder von den großen, furchtbaren Gemeinsamkeiten der Geschichte: Revolutionen, Konterrevolutionen – eines wie das andere Krieg und also Grund zur Klage, die sein Theater war ... hds



Herr Schleef, Sie mussten auf Druck des Berliner Senats Ihre Arbeit an Goethes »Faust« im Schiller Theater abbrechen. Womit beschäftigen Sie sich jetzt?
Schleef: Mit meinem Fahrrad. Ich muss paar neue Speichen einziehn. Wie Sie sehen: Ein altes MIFA-Modell.

Die Zeitungen meldeten, dass Sie den »Faust« nun doch herausbringen wollen, in der Kulisse des Stadtschlosses auf dem Marx-Engels-Platz.
Ja, dreimal an Holz geklopft. Im Sommer geriet der »Faust« in das Hickhack um die Schließung des Schiller Theaters. Dem Senat hatte ich ein Angebot gemacht, damit der »Faust« doch noch rauskommen kann. Ich wollte die Miete bezahlen, damit die Truppe weiterarbeiten kann. Die Einnahmen hätten der Truppe gehört. Vielleicht hätten wir damit demonstrieren können, dass man – sogar mit einem schwierigen Stück und auf hohem künstlerischen Niveau – Einnahmen erzielen kann, von denen eine Truppe leben kann.

Bescheiden leben kann.
Bescheiden, ja, aber immerhin. Mich hätte der Senat ja gar nicht bezahlen müssen.

Der Senat hat das Angebot abgelehnt?
Er hat uns rausschmeißen lassen! Vielleicht können die sich gar nicht mehr vorstellen, dass man einfach nur arbeiten will und sich dafür noch selbst engagiert und bezahlt. Was nun folgt, ist nur die Strangulierung der Leute, letztlich werden sie kaputt gemacht. Fast fünfzig Leute setzten auf mein Angebot und hofften, weiterarbeiten zu können. Sie wurden in den Arsch getreten. Was ist das für ein Gemeinwesen, wo Menschen so behandelt werden! Das muss schlimme Auswirkungen auf das ganze politische Klima haben.

Widerstände gegen Ihre Arbeit, die kennen Sie aus DDR-Zeiten.
Ich arbeitete zeitweilig als Bühnenbildner und Co-Regisseur am Berliner Ensemble und geriet hier, wie Tragelehn und andere auch, in die Querelen zwischen den Brecht-Erben und der damaligen Leitung unter Ruth Berghaus. Letztlich ging es auch um Kulturpolitik, denn unsere Inszenierungen von »Fräulein Julie« und »Frühlings Erwachen« passten nicht in die Landschaft. Die Frage war ja: Muss man Brecht und das BE erneuern oder traditionell weiterführen.

Sie zählten da sicher nicht zu den »Traditionalisten«?
Nein.

Und wegen der Querelen sind Sie über die Grenze?
Ich bin nicht weggegangen. Ich wurde ins Ministerium für Kultur gebeten, man drückte mir einen Pass in die Hand und sagte: Geh erst mal woanders arbeiten, aber hier nicht mehr. Und bringe die »Kohle«, Westgeld natürlich.

Zitat Schleef: »Das war im Westen wie ein Schutz für mich: Schreiben. Ich hätte mich mit anderen zusammentun können, aber bald gemerkt, dass ich das nicht kann.« Warum nicht?
Weiß ich nicht. Konnte ich nicht. Mir war jeder Mensch im Westen zuwider, am Leben habe ich kaum teilgenommen. Und immer stand ja die Frage: Wie kann ich mich behaupten, wie schaffe ich das?

Das Zentrum Ihrer Arbeit: Kollisionskurs.
Ich tue, was ich muss. Für mich ist Theater ein Raum der Auseinandersetzung und der Provokation. Dieser Wert der Bühne ist verlorengegangen. Die Sessel werden immer bequemer, und der Theaterabend ist, außer Geschmack, ziemlich inhaltslos. Die Darstellungsmittel hinken dem Oberflächenrealismus des Fernsehens hinterher, und bei jedem Klassiker riecht es nach Pappe.

Mit Texten der Klassiker gehen Sie nicht sehr fein um. Da werden Texte umgestellt, ergänzt oder mit Texten aus anderen Stücken kombiniert. Warum?
Das kann ich so allgemein nicht erklären. Aber vielleicht das: In der DDR hatte ich zwei sehr gute Lehrer, Heinrich Kilger und Karl von Appen. Deren Wert für mich entdeckte ich erst viel später, diese – fast intime – Bindung des Schülers an den Lehrer. Das klingt heute ganz kitschig, heute passiert alles in solchen Großbetrieben von Schulen, wo sich der Lehrer mit dem Schüler nicht mehr intensiv auseinandersetzen kann.

In einer Diskussion über die gegenwärtige Krise des Theaters sagten Sie, dass Theater seinen Auftrag verloren habe. Was meinten Sie da?
Ich kenne nur das westdeutsche Theater, das hat schon seit einiger Zeit den Zugang zum Leben verloren. Dramatische Autoren wie Achternbusch, Brecht, Kroetz waren nur die Außennarren, einzig Botho Strauss hatte sein Theater gefunden, die Berliner Schaubühne. Aber letztlich haben die deutschen Autoren das Theater nicht in Besitz genommen. Und umgekehrt. Das war ein Verlust an Realität und Auseinandersetzung. Letztlich hat das DDR-Theater sogar noch eine negative Rolle gespielt.

Dessen beste Aufführungen waren doch aber dran am Leben.
Aber die Exportware DDR-Theater, die im Westen viel Aufsehen erregte, wurde nicht so verstanden! Es wurden fast nur die Klassiker exportiert: Die waren zwar für DDR-Publikum aktuell und politisch brisant, aber nicht für den Zuschauer im Westen. Dort wurde nur das Artifizielle bewundert, Inhalt und Sprache aber wurden nicht so aufgenommen, wie es nur Menschen verstehen können, die in einem konkreten Umfeld leben. Das ist der Niedergang des westdeutschen Theaters: dass es mit dem Flugzeug unterwegs ist.

Was ärgert Sie am meisten, wenn Sie an Deutschland denken?
Dass ich vielleicht wieder gezwungen sein werde, Koffer zu packen.

Wieso?
1974 hatte ich ein Stück geschrieben, das von der Fiktion ausging, es käme die Wiedervereinigung. Zur Jubelfeier am Schluss quillt aus einem Fernseher eine braune Flut. Die Wiedervereinigung als Brücke zum Faschismus. Das Stück konnte in der DDR nicht gespielt werden. Daran denke ich jetzt oft. Denn der Rechtsruck wird doch in weitesten Kreisen betrieben, und Glatzköpfe auf den Straßen sind nur eine Art Folkloregruppe gegen die Politik, die jetzt nach dem Fall der Mauer einsetzt, auch gegen die untergegangene DDR – die ein Scheusal war, aber doch nicht ausschließlich.

Räumen Sie der politischen Linken eine Chance ein, gegen diese Entwicklung etwas zu bewirken?
Wenn sich was bewegt, geht es um Macht. Wirklich linke Ansätze sehe ich nicht. Althergebrachtes wird geleiert, neunzehntes Jahrhundert. Linke Leute sehe ich wie alle anderen nach Posten haschen. Sie nehmen sich keine Auszeit im Schweigen. Sie machen nicht die Niederlage zu ihrer Arbeit. Sie hecheln weiter. In Brechts »Tage der Commune« sagt Langevin, der Kommunarde, dass das Hauptinteresse der Beamten darin bestehe, sich unersetzbar zu machen.

Langevin meint die bourgeoisen Beamten, die korrumpierten.
Eben. Korruption und Vetternwirtschaft machen keine Unterschiede zwischen links und rechts.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal