Obskure Bilder der Serenissima

Die Basler Fondation Beyeler ist dem Mythos Venedig auf der Spur

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.
Magische Szenerie – Venedig durch den Blick einer Camera obscura
Magische Szenerie – Venedig durch den Blick einer Camera obscura

E s ist nicht einfach, sich ein eigenes Bild von Venedig zu machen. Es ist im Grunde unmöglich, stülpen sich doch sattsam bekannte Ansichten von Canalettos Veduten der Piazza San Marco über Turners in Sfumato eingehüllte Santa Maria della Salute bis hin zu Monets subtilen Lichtprotokollen der diversen Palazzi am Canale Grande beharrlich über jeglichen Keim der individuellen Aneignung. Als Klischee-Kulisse lässt sich die Serenissima – die Allerdurchlauchtigste – bis heute kaum toppen. Der Titel der aktuellen Überblicksausstellung »Venedig von Canaletto und Turner bis Monet« in der Fondation Beyeler im schweizerischen Riehen/Basel scheint nun genau auf jenen Déja-vu-Effekt zu setzen. Und bietet doch darüber hinaus eine Fülle ungewöhnlicher Ein- und Ansichten.

Aktuelle Winterbilder des überfluteten Venedig werden wachgerufen durch die Fotografien von Vera Lutter. Dabei bedient sich die 1960 in Kaiserslautern geborene Künstlerin der Urform des fotografischen Apparats: der Camera obscura. Vor dem Markusplatz wie vor der Ca del Duca Sforza baute Lutter ihre begehbare Kamera-Konstruktion auf. Ein von allen Seiten geschlossener Raum, in den sie an einer Seite ein winziges Loch bohrte. Durch diese Öffnung wird nun das einfallende Licht gebündelt und liefert in der Black Box ein seitenverkehrtes Bild auf der von der Künstlerin mit fotosensiblem Silbergelatine-Papier bespannten Wand. Licht und Schatten werden genau umgekehrt. Aufgrund der langen Belichtungszeit erhält die majestätische Architektur eine ganz eigene Dynamik und scheint beinahe schwerelos zu sein.

Das Licht ist die Magistrale, an der sich Künstler seit drei Jahrhunderten am Phänomen »Venedig« abarbeiten. Eines der prächtigsten Bilder der Schau ist zweifellos Turners 1844 erstmals ausgestelltes Ölbild »Annäherung an Venedig«: In der Himmelszone verschmilzt der allmählich verglühende Sonnenuntergang mit jenen kalten und dunkleren Nuancen, die sich um den aufsteigenden Mond versammeln. Die Schönheit dieses Gemäldes verdankt sich seinen duftig gesetzten Pinselstrichen, welche die Stadt in ihrem Aggregatzustand zwischen »fest« und »flüssig« darbietet. Seit seinem ersten Venedig-Aufenthalt entfernte sich der britische Maler sukzessive vom Detailrealismus.

Ganz anders sein amerikanischer Kollege James McAbbot Whistler (1834-1903), dem es mit ausgeklügelter Radiertechnik gelingt, das so typisch-venezianische Sfumato nicht gegenüber einem abbreviaturhaften Erfassen der realen Architektur aufzuopfern. Seine wohl innovativste Radierung mit dem vielsagenden Titel »Nocturne« (1879) zeigt eine Ansicht von Palladios Chiesa San Giorgio Maggiore. Whistler setzt hier die Kaltnadeltechnik ein, um die wie die Motten über der stillen Lagune flirrenden Laternen und Gondeln anzudeuten.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehört Claude Monets Venedig-Suite, der es nicht um die berühmten Bauwerke geht. Monet schneidet die Gebäude extrem an, löst die Konturen auf und widmet sich komplett den unterschiedlichen Farbsymphonien, welche das Morgen- und Abendlicht mit den Palazzi veranstaltet. Damit erweist er sich als Turner-Schüler, der mit dem Bildpaar »Aufbruch zum Ball« und »Rückkehr vom Ball« einen subtilen Kommentar abliefert über die keimende Aufgeregtheit vor dem Ereignis und dem eher bleiernen Nachhauseschippern. Einhundert Jahre nach ihrer Entstehung wurde nun in Basel Monets Folge rekonstruiert: Seit ihrer Erstpräsentation in der Pariser Galerie Bernheim-Jeune war sie nicht mehr zu sehen! Die größte Entdeckung in Basel sind aber die schwungvollen Szenen des Amerikaners John Singer Sargent. Mit Effet stößt der Gondolière die weißgekleideten Damen unter einem düsteren Brückenbogen hindurch. Er sucht seine Motive hinter den spektakulären Kulissen, seien es baufällige Palazzi, leere Piazzen oder enge Seitengassen.

Psychologisch betrachtet ist es eine intime, mit dem Blick des Voyeurs erhaschte Welt, die mit einer gedämpften Palette von kühlen Grau-, gedeckten Braun- und satten Schwarztönen auskommt. Sargents aus dem Rahmen fallende Sujets bestätigen die Perspektive der britischen Dichterin Vernon Lee, die 1880 die Überzeugung vertrat: »Dort, in diesen hohen, dunklen Häusern mit ihrem schäbigen Ausblick auf enge Kanäle, (...), in diesen Häusern wohnt der wahre Reichtum, die wahre Ehre, das wahre Gut Venedigs (...).

»Venedig – von Canaletto und Turner bis Monet« wurde verlängert bis zum 15. Februar 2009. Der Katalog erschien bei Hatje Cantz und kostet 68 CHF.

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