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Auf dem »französischen Sonderweg«

Sarkozy setzt alle Hebel des Staates gegen die Rezession ein, der Preis ist eine enorme Verschuldung

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Brüsseler Prognosen für das Krisenjahr 2009 haben Frankreich eine kalte Dusche beschert. Danach steigt die Arbeitslosenquote auf 9,8 Prozent, ein Prozent mehr als im europäischen Durchschnitt. Für Deutschland sind 7,7 Prozent vorausgesagt. Als Staatsdefizit werden für Frankreich 5,4 Prozent des Bruttosozialprodukts erwartet, der europäische Durchschnitt liegt bei 4,4 Prozent.

In Paris war man bislang stolz darauf, dass das Land bisher nicht in die Rezession abgesackt ist. Das Wirtschaftswachstum bewegte sich ab April 2008 immer knapp um den Nullpunkt – im zweiten Quartal 2008 minus 0,3 Prozent, im dritten plus 0,1 Prozent und im vierten minus 0,8 Prozent. Schon im zweiten Quartal 2009 erwartet man nur noch ein Minus von 0,1 Prozent, weil bis dahin die staatlichen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft gegriffen haben sollen. Für 2009 erhofft sich die Regierung insgesamt sogar ein leichtes Wachstum.

Premier François Fillon musste dieser Tage vor der Presse einräumen, dass an das von Präsident Nicolas Sarkozy vollmundig angekündigte Ziel der Vollbeschäftigung und eines ausgeglichenen Staatshaushalts bis 2012 nicht mehr zu denken ist. »Aus dem Voluntarismus des Präsidenten ist Defensive geworden«, schätzt die Zeitung »Le Monde« ein. Bisher hat die Taktik der Regierung, Optimismus zu verbreiten, zumindest dazu geführt, dass der Konsum nicht radikal eingebrochen ist und die ganze Wirtschaft mit sich gezogen hat. Davon zeugte der überraschend starke Umsatz des Handels vor Weihnachten und im Winterschlussverkauf Anfang Januar.

Sicher haben viele Franzosen dabei auch auf ihre Ersparnisse zurückgegriffen, aber das fällt ihnen vermutlich leichter als vielen europäischen Nachbarn: In Frankreich liegt die Sparrate seit Jahren bei 15 Prozent der Einkünfte, während es beispielsweise in Großbritannien fünf Prozent sind. Außerdem neigen die meisten Franzosen nicht dazu, an der Börse zu zocken, sondern sie zahlen ihre Ersparnisse aufs Sparbuch ein. Die Finanzkrise hat sie darin bestärkt. Auch bei den Renten setzt Frankreich heute mehr denn je aufs Solidarprinzip der Generationen und nicht auf spekulative Rentenfonds. Der französische Export ist traditionell stark auf Nahrungs- und Genussmittel oder Konsumgüter und weniger auf Ausrüstungen ausgerichtet als dies in Deutschland der Fall ist. Deshalb hat sich die krisenbedingte Investitionsflaute auf dem Weltmarkt viel weniger auf die französischen Ausfuhren ausgewirkt. Durch die Steuer- und Sozialpolitik werden Entlassungen zudem für Unternehmer teuer und so ist es für sie vorteilhafter, nur Zeitarbeitskräfte abzubauen.

Vor allem jedoch investiert die Regierung massiv Gelder in öffentliche Projekte der Forschung, Bildung und des Gesundheitswesens sowie in Infrastrukturvorhaben. So wird der Bau von vier Strecken für TGV-Hochgeschwindigkeitszüge, der langfristig geplant war, vorgezogen. Um sowohl die Wohnungskrise zu entschärfen als auch die Bauwirtschaft anzukurbeln, stellt die Regierung zinslose Darlehen bereit und bürgt darüber hinaus für Bankkredite, um möglichst vielen junge Familien den Erwerb von Wohneigentum zu ermöglichen. Die Banken werden finanziell gestützt, unter der Bedingung, kleinen und mittleren Unternehmen nicht länger Kredite zu verweigern. Auch Schlüsselindustrien wie dem Autobau will die Regierung massiv helfen, wenn sie keine Betriebe ins Ausland verlegen.

»Diese Ausrichtung auf die Arbeitsplatz- und Kaufkraftsicherung ist ein Tiefschlag für die eher mit neoliberalen Zielen angetretene rechte Regierungskoalition«, meint der Wirtschaftswissenschaftler Henri Sterdyniak. »Sie stehen vor einem ideologischen Trümmerfeld: Sie wollten weniger Staat und nun müssen sie mehr denn je auf den Staat setzen.« Der Preis ist eine Staatsverschuldung, die alle EU-Vorgaben über den Haufen wirft und von 1200 Milliarden Euro Ende 2007 auf nun 1285 Milliarden – 66,1 Prozent des Bruttosozialprodukts des Landes – gestiegen ist.

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