Besatzung. Nicht Heimat

Dem Dichter und Dramatiker Lothar Trolle zum 65. Geburtstag

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.
Besatzung. Nicht Heimat

Er kam mit seinen Eltern aus dem Westen in die DDR. Er ging in die zweite Klasse. Ein Mitschüler stellte fest, Lothar sei wohl ein ziemlicher Idiot, denn nur Idioten kämen auf die Idee, in den Osten zu kommen.

So fing das an, und es hörte nicht auf: Lothar Trolle blieb sein DDR-Leben lang ein Halblegaler, ein schief Beäugter, ein Draußengelassener, ein bunter Hund, ein merkwürdiges Subjekt. Ein fettes Spitzel-Fressen. Wenn man ihn heute sieht, macht er den Eindruck eines Menschen, der sich in solcher Lage konsequent treu blieb: »Wichtig ist, dass man sich nicht zu wichtig nimmt. Texte schreiben - das ist stets eine Art Flucht aus der Wirklichkeit.«

Flucht von einem Ort ist aber immer auch der Weg woanders hin, in eine andere Wirklichkeit. Theater blieb für ihn das Feld der reinen Utopie, der absoluten Gegenwelt. Die vergebliche Sehnsucht: Man müsste so schreiben können, dass man dort bleiben kann, in dieser anderen Welt. Trolle schrieb immer so, dass er schon froh sein konnte, überhaupt aufgeführt zu werden.

Mit der freien Gruppe »Medea« führte er in der Berliner Zionskirche Müllers »Hamletmaschine« erstmalig auf, bis die Pression mürbe gemacht hatte, 1988 ging er in den Westen, inszenierte in München, dort war es der schauspielende Kraftkerl Josef Bierbichler, der eine Absetzung der Trolle-Arbeit schon vor der Premiere verhinderte. 1993 bis 1995 ist er am Kleist-Theater in Frankfurt an der Oder engagiert, eine kurze Spanne Heimat. »Die DDR war keine Heimat, das war besetztes Land. In der Wende gab es kurz die Illusion, mit dem Ende der SED-Besatzung könne Heimat entstehen.« Vorbei.

In seinem Stück »Die Baugrube« nach Platonow, vor Jahren am Berliner Ensemble uraufgeführt (Regie: Armin Petras) heißt es, dem Proletariat stehe nicht die Wahrheit zu, sondern die Bewegung. Fazit nach einem Jahrhundert, in dem Kommunisten zunächst nichts zu verlieren und am Ende nichts mehr zu verlangen hatten. Trolle blieb in diesen gesellschaftlichen Prozessen der provokante Träumer. Der freilich gegen jede hoffnungsvolle Botschaft skeptisch blieb, denn die Masse, der von links immer wieder »lohnende Kämpfe« suggeriert würden, bleibt ein unberechenbares Wesen.

Der Dichter in einem ND-Interview: »Seltsam: Ich wurde nie gespielt, galt aber als provokant. Ich hatte einfach wie jeder normale Mensch eine Abneigung gegen den Staat, und die Parteibürokratie hielt mich immer für einen Idioten. Ein Funktionär des Schriftstellerverbandes sagte mal nach einer Lesung, er sei sehr traurig – dem Trolle, dem sei ja nicht mal mit dem Sozialismus zu helfen. Als die Philosophiestudenten in die gefürchtete politische Praxis entlassen werden sollten, als M/L-Dozenten irgendwohin, fanden quälende Vermittlungsgespräche statt. Keiner wollte weg aus Berlin. Es hagelte Parteiaufträge. Ich als Parteiloser sagte, ich ginge dorthin, wo der Staat mich hinschickt. Da ließen die mich laufen, so erschrocken waren sie. Als Thema zum Staatsexamen kriegte ich die kulturpolitischen Leistungen der SED nach dem 11. Plenum. Da bin ich nie wieder aufgetaucht dort.«

Trolles Dramatik (»Hermes in der Stadt«, »34 Sätze über eine Frau«, »Weltuntergang Berlin«, »Jozia, die Tochter des Delegierten«) und seine Prosa bestehen aus einem expressiven Verfugen von hartkantiger, metaphorischer Poesie und banalen Nachrichtentönen; den Schrecken durchlöchert ein böser, eulenspiegelnder Witz, und was sich als Alltag klein, bezwingbar, bürgerlich macht, entpuppt sich als Fortsetzung uralter Lawinen aus Leere und Gewalt.

Trolle lächelt. Trolle schreibt. Trolle lebt in Gegenwelten, um die der Tod einen Bogen macht, solange Dichters Einsamkeit hält.

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