Verloren im bunten Oberflächenglanz

Christian Stückl inszeniert in München Hans Pfitzners »Palestrina« als Bilderbogen

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Der neue Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler wollte seiner bislang furiosen Auftaktspielzeit offenbar auch etwas extravagant Randständiges mit lokalem Bezug hinzufügen. Hans Pfitzners dreiaktiger »Palestrina« wurde immerhin 1917 in München uraufgeführt. Und der unüberhörbar urbayerische und sozusagen programmatisch in Oberammergau geborene Volkstheaterchef, Christian Stückl, schien dafür auch prädestiniert. Bei dem nicht nur als Spielleiter der weltberühmten Passionsspiele in seinem Geburtsort, sondern auch beim katholischen Theaterspektakel de luxe schlechthin, dem Salzburger »Jedermann«, bewährten Theaterregisseur schien wohl das Kirchen- respektive Kirchenmusikstück mit seinem ausladenden Diskurs über die Fährnisse eines Genies in dogmatisch fordernden Zeiten, zumindest wegen dieser Vorbildung in rechten Händen. In Sachen Oper freilich ist Stückl (nach bisher nur zwei Versuchen) nicht allzu erfahren. Und als kritischer Zuspitzer und Hinterfrager, ist er, wie sich jetzt zeigte, doch eher die zu vermutende Fehlbesetzung.

Dabei ist Pfitzners vierstündiges Monstrum heute weniger wegen der zumindest problematischen Biografie des »nationalkonservativen« Komponisten, sondern eher wegen der dezidiert spätromantischen Abschirmung gegen die Strömungen der Moderne und seiner hörbar nicht nur am Komponisten, sondern auch am Textdichter Wagner geschulten Sprache ein ganz eigener Fall.

Wer in München während des sich ziemlich lähmend in die Länge ziehenden, einhundertminütigen ersten Aktes, unter dem dauerpatethisch dickflüssigen Orchestersound, den Simone Young gut ausbalanciert aufrauschend, aber doch sängerfreundlich aus dem Graben aufsteigen ließ, nicht entschlummert war, der konnte sich beim Mitlesen der Übertitel (und auch dank der durchweg vorbildlichen Diktion von Christopher Ventris als Palestrina und des markant aufdrehenden Falk Struckmann als Kardinal Borromeo, direkt verständlich) seine Gedanken machen.

Auch darüber, dass das Genie eben nicht die Freiheit hat, sich seinem Stern zu verweigern.

All das bleibt in der eher comichaften Bühnenbildästhetik, mit ihrer unverbindlichen, symmetrischen Raumarchitektur (Stefan Hegeneier), den bonbonbunt stilisierten Kirchengewändern und Engelserscheinungen (wohl wegen der Hoffnung: in Grün) und einer eher hilflosen Personenregie alles ziemlich oberflächlich. Und zwar sowohl im ersten und dritten Akt, in denen Palestrina unter ziemlich starkem inneren und vor allem äußeren Druck in einer Nacht jene zugleich bewahrende und voranweisende Messe schreibt, die die Musik an sich retten soll. Es gilt aber auch für den quasi politischen Mittelakt, der streckenweise sogar launig ein Kirchen-Konzil schildert, das in einem heillosen Streit endet. Kardinäle, die sich am Ende kloppen, eine Stretchlimousine fürs Spitzenpersonal der Kurie oder augenklimpernde Großpuppen sind hier aber noch nicht einmal im Ansatz irgendwie kirchenkritisch oder sonst irgendwas anderes. Es bleibt eine bunte Bebilderung.

Szenisch also war dieser »Palestrina« eine ziemliche Enttäuschung. Doch wurde nicht nur musikalisch, sondern vor allem bei den Sängern höchstes Niveau geboten. Ist auch kein Wunder, wenn etwa ein Michael Volle als päpstlicher Legat zur Verfügung steht. Er wird zum imponierenden Mittelpunkt, wenn um ihn herum das Konzil im Chaos versinkt. Auch Christiane Karg als Komponistensohn Ighino, oder Gabriela Scherer als Schüler Silla profilierten ihre Rollen.

Neben der Chemnitzer »Rose vom Liebesgarten« kann jetzt also auch Pfitzners, alles in allem bekannteste Oper zumindest als musikalisches Schmuckstück besichtigt werden. Künftig dann auch im koproduzierenden Hamburg.

Nächste Vorstellungen: 23. und 28. 1 sowie am 1. und 8. 2.

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