Der letzte Kaiser

Biografie komplett zum 150. Wilhelms II.

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 27. Januar 1859 verkündeten 101 Kanonenschüsse den Berlinern die Geburt eines Prinzen der Hohenzollerndynastie. 29 Jahre später bestieg dieser als Wilhelm II. den Thron. Zeitgenossen fielen an dem jungen Kaiser zwei negative Charaktereigenschaften auf: eisige Gefühlskälte und maßlose Selbstüberhebung. 1890 entließ der Monarch den »Eisernen Kanzler« Otto von Bismarck. Er strebte fortan ein »persönliches Regiment«, eine Art Selbstherrschaft an. Der unruhige Tatendrang des Kaisers tat sich vor allem durch hektisches Reisefieber und rednerische Entgleisungen kund. 1894 rechnete die »Vossische Zeitung« dem jungen Herrscher vor, dass er im Jahr zuvor 199 Tage auf Reisen war.

Wilhelm II. wollte sein eigener Reichskanzler sein, war aber nicht dazu bereit, die Arbeit eines Regierungschefs zu leisten. Er wollte immerzu schnelle Entscheidungen fällen, ohne sich vorher gründlich informiert zu haben. So folgte er heute den Einflüsterungen dieses oder jenes berufenen oder unberufenen Ratgebers, morgen denen eines anderen. Reichskanzler Bülow verstand es dann lange Zeit, den Kaiser durch eine Kombination von Schmeichelei und vorsichtiger Beharrlichkeit weitgehend zu lenken. Etliche Entgleisungen Wilhelms konnte aber auch er nicht verhindern, so die berüchtigte »Hunnenrede« vom 27. Juli 1900. Am 31. Dezember 1905 richtete der Kaiser an Bülow einen Brief, der den ungeheuerlichen Satz enthielt: »Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen – wenn nötig per Blutbad – und dann Krieg nach außen!«

In der Innenpolitik, die ihn nur mäßig interessierte, hielt Wilhelm sich zurück. In die Außenpolitik und Militärpolitik griff er oft ein, und hier wirkten seine Aktivitäten unheilvoll. Er war der Initiator der deutschen Flottenrüstung, die von den Briten schließlich als tödliche Bedrohung empfunden wurde und sie dazu bewog, sich mit ihren alten Rivalen Frankreich und Russland zu verbünden. Nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand gab Wilhelm den Regierenden in Wien grünes Licht für einen Angriffskrieg gegen Serbien. Er trug damit maßgeblich zur Entfesselung des Ersten Weltkriegs bei. Der Kaiser hatte gehofft, ein solcher Krieg könne »lokalisiert« werden. Dabei hatte er nicht begriffen (oder verdrängt), dass ein Angriff Österreich-Ungarns gegen Serbien zwangsläufig eine Kettenreaktion auslösen und schließlich alle europäischen Großmächte in den Krieg hineinziehen musste. Im Weltkrieg geschah dann binnen weniger Monate das Merkwürdige: Wilhelm, der vor 1914 wiederholt erklärt hatte, er werde im Kriege sein eigener Generalstabschef sein, trat kaum noch aktiv hervor, sank zu einem »Schattenkaiser« hinab. Die Oberste Heeresleitung fällte nun die militärischen und oft auch die politischen Entscheidungen. Am 9. November 1918 fegte dann eine spontane Volksbewegung das Regime Wilhelms II. hinweg.

Wie jetzt im dritten Band von John C. G. Röhls opulenter Wilhelm-Biografie nachzulesen ist, entwickelte der Ex-Kaiser im holländischen Exil hanebüchene Verschwörungstheorien. Sein Antisemitismus nahm noch krassere Formen an. Am 15. August 1927 schrieb er an seinen amerikanischen Jugendfreund Poultney Bigelow: »Die Presse, Juden und Mücken« seien eine »Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss ... Ich glaube, das Beste wäre Gas.« Er buhlte um die Gunst der Nazis, hoffend, mit ihrer Hilfe auf den Thron zurückkehren zu können. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris 1940 schickte er Hitler ein begeistertes Glückwunschtelegramm. Am 6. Juni 1940 starb er auf seinem Landsitz Doorn in Holland.

John C. G. Röhl: Wilhelm II. Bd. 1: Die Jugend des Kaisers (980 S., geb., 39,90 EUR); Bd. 2: Der Aufbau der persönlichen Monarchie (1437 S., geb., 49,90 EUR); Bd. 3: Der Weg in den Abgrund (1696 S., geb., 49,90 EUR). C.H. Beck, München 2001-2008. Alle 3 Bde. 112 EUR.

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