Der Handel mit der Strafe

Absprachen in Strafverfahren werden gesetzlich geregelt

Die Bundesregierung hat am Mittwoch die lange bestehende Praxis von Deals in Strafverfahren legalisiert. Das Kabinett beschloss einen Gesetzentwurf, der die umstrittenen Absprachen zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft möglich macht. Er soll noch in dieser Legislatur verabschiedet werden.

Der neue Paragraf 257 c der Strafprozessordnung heißt »Verständigung in Strafverfahren«. Was nach gerechtem Ausgleich klingt, hat in Wahrheit mehr mit Haushaltsplänen zu tun. Denn der wichtigste Grund für die Neuregelung ist ökonomischer Natur: Die Justiz ist überlastet, die Prozesse sollen deshalb schneller und billiger werden. Gegen ein frühes Geständnis lässt der Staat daher bei der Strafe mit sich reden. Das vereinbarte Urteil – der »Deal« – hat sich seit fast 30 Jahren in deutschen Gerichtssälen eingebürgert. Seine zahlreichen Gegner sehen darin einen »Handel mit der Gerechtigkeit«. »Wir fahren den Strafprozess vor die Wand«, kritisierte Monika Harms noch im Mai 2006 kurz vor ihrem Amtsantritt als Generalbundesanwältin einen ersten Referentenentwurf.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will den Deal dennoch erlauben. Aus dem »Hinterzimmer-Gemauschel« soll ein transparentes Verfahren werden. Absehbar ist damit aber auch: Solchermaßen legalisiert werden Tauschgeschäfte künftig noch häufiger vorkommen.

Das Problematische an den Deals hat sich in mehreren spektakulären Fällen gezeigt. Ex-VW-Vorstand Peter Hartz kam für seine Millionenschmiergelder nach nur zwei Verhandlungstragen mit Bewährung und einer Geldstrafe glimpflich davon. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann konnte sich mit 3,2 Millionen Euro aus der Affäre ziehen. Das Verfahren wegen Untreue wurde eingestellt. Und auch im heute beginnenden Steuerbetrugsprozess gegen Ex-Postchef Klaus Zumwinkel gibt es Gerüchte über einen Strafmaßhandel. Nach Schätzungen sollen rund 80 Prozent der Wirtschaftsprozesse inzwischen so abgearbeitet werden. Das nährt bei vielen den Eindruck: Hat der Täter genug Geld, ist die Tat rasch aus der Welt. »Der Reiche kann sich freikaufen, der Hartz-IV-Empfänger nicht«, kritisierte der frühere Bundesrichter und jetzige rechtspolitische Sprecher der linken Bundestagsfraktion, Wolfgang Neškovic, den »unwürdigen Handel«.

Dem Vorwurf des Zwei-Klassen-Strafrechts widersprach die Justizministerin am Mittwoch. Absprachen zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft seien »kein Privileg für Reiche«. Auch in Verfahren wegen »kleinerer und mittlerer Kriminalität« würden Absprachen getroffen. Nach ihrem Gesetzentwurf sollen die Deals künftig nur in öffentlichen Hauptverhandlungen getroffen werden. Das Gericht darf dem Geständnis eines Angeklagten nicht einfach glauben, sondern muss den Sachverhalt aufklären. Zudem muss es die Absprachen einschließlich von Vorgesprächen protokollieren. Ein Verzicht auf Rechtsmittel darf nicht vereinbart werden. Ein auf Absprachen beruhendes Urteil kann somit wie jedes andere von der nächsten Instanz überprüft werden.

Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich lange gegen so ein Verfahren gesträubt. Jetzt gab er seinen Widerstand auf. Eine Absprache mit seiner Kollegin? »Der Deal um den Deal hat nicht stattgefunden«, dementiert Zypries.

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