Die vergessenen Opfer

Gedenkstätte in Berlin soll an NS-Euthanasieverbrechen erinnern

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.
In Berlin soll in einer alten Villa, wo vor mehr als 60 Jahren der Mord an sogenannten Geisteskranken geplant wurde, eine neue Gedenkstätte entstehen. Mehr als 300 000 Menschen fielen diesem NS-Verbrechen zum Opfer.

Anna Lehnkering war nicht einmal 25 Jahre alt, als sie am 7. März 1940 als geisteskrank stigmatisiert in der Gaskammer ermordet wurde. Im Jahr 2003 erfuhr ihre Nichte Sigrid Falkenstein durch eine Namensliste im Internet vom Schicksal ihre Tante. Seitdem setzt sich Falkenstein für eine würdige Gedenkstätte für die mehr als 300 000 Menschen ein, die im Rahmen der Aktion T 4 ermordet wurden.

Es war eine Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, die der Mordaktion das Kürzel T 4 bescherte. Dort wurde in der NS-Zeit der Mord an den sogenannten Geisteskranken geplant. Heute erinnert eine in den Boden eingelassene Gedenktafel an Täter und Opfer. Sie wurde Ende der 1980er Jahre von Gedenkinitiativen durchgesetzt, wie die Kunsthistorikerin Stefanie Endlich betont. Damals hatte der Berliner Senat noch wenig Interesse an einer würdigen Gedenkstätte der Opfer. So wurde kurzerhand ein Kunstwerk von Richard Serra, das zufällig an diesem Ort aufgestellt war, zu einem Mahnmal für die T 4-Opfer umgewidmet.

Bei den aktuellen Planungen sollen diese Fehler vermieden werden. Auf einem Symposium in Berlin plädierte eine Mehrheit der Teilnehmer dafür, dass auf dem ehemaligen T 4-Gelände sowohl ein Dokumentationszentrum über die Verbrechen als auch ein Gedenkort für die Opfer und ihre Angehörigen geschaffen werden soll. Aus seiner Erfahrung aus seiner Arbeit als Leiter der Gedenkstätte Hadamar plädierte Georg Lilienthal für eine räumliche Trennung beider Bereiche. Margaret Hamm vom »Bund der Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten e.V.« stimmte ihm zu. Sie erinnerte auch daran, dass viele Überlebende und Angehörige der T 4-Morde aus Angst vor Stigmatisierung noch immer die Öffentlichkeit scheuen.

Dass deren Befürchtungen nicht grundlos sind, machte Sigrid Falkenstein mit ihrem Verweis auf die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie deutlich, die unter dem Namen »Deutsche Ansichten 2007« bekannt geworden war. Danach steigt die Zahl derjenigen, die von wertlosen Menschen, die die Gesellschaft nicht brauchen kann, sprechen.

Kritik an der offiziellen Bezeichnung der T 4-Morde äußert der Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen Berlin-Brandenburg. Das Verbrechen werde häufig noch immer beschönigend mit dem Begriff Euthanasie bezeichnet. Der Verband fordert die wissenschaftliche Ermittlung der T 4-Opfer und die Veröffentlichung ihres Schicksals im Internet. Nachdem die Initiative vor einigen Jahren einen Teil der Namen der Opfer ins Netz stellte, war das Interesse groß. Dadurch hatte auch Sigrid Falkenstein von der Ermordung ihrer Tante erfahren und ihre Aktivitäten für die T 4-Gedenkstätte begonnen.

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