Der tiefe Fall des Kurt D.

Anklage gegen einen einst außerordentlich erfolgreichen Musiker

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Er war ein begnadeter Künstler, trällerte, spielte Gitarre, komponierte und schrieb so an die 10 000 Texte für die Creme der DDR-Bands, wie die Puhdys, Karat, Renft, Karussell oder Silly. Er war der erfolgreichste Rocktexter der DDR, und mit Nina Hagens »Du hast den Farbfilm vergessen« erlangte er auch bundesdeutschen Ruhm.

Nun ist Kurt Demmler, der stets fröhliche Arzt und Liedermacher, in die Jahre und ins Zwielicht gekommen. Seit gestern muss sich der 65-Jährige vor der 15. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin verantworten. Die schwerwiegende Anklage lautet auf sexuellen Missbrauch von Kindern. In einem Zeitraum von August 1995 und November 1999 soll Demmler in insgesamt über 200 Fällen sexuelle Handlungen an sechs Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren in seiner Wohnung vorgenommen haben.

Der Stein kam im Sommer 2008 ins Rollen, als eines der mutmaßlichen Opfer nach Jahren der Selbstpeinigung zur Polizei ging und das Geschehen offenbarte. Bei den dann einsetzenden polizeilichen Ermittlungen wurden weitere fünf Mädchen ausfindig gemacht, die ähnliches durchlitten haben sollen. Seit August 2008 sitzt der verheiratete Demmler mit Wohnsitz in Storkow wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft.

Vor Gericht erschien gestern ein von der Haft gezeichneter Mann, dessen Gesten sagen wollten: Ich bin unschuldig und Opfer einer Intrige. Doch die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sind sehr konkret, obwohl die Taten schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen. Es sollen auch Videokassetten vorliegen, die das Geschehen belegen. Immer wieder schüttelt er mit dem Kopf, wenn Details der einzelnen Fälle zur Sprache kommen.

Die jungen Mädchen waren damals zum Vorsingen in seine Wohnung gekommen. Eine Mädchenband aus der Retorte sollte entstehen, etwa nach dem Vorbild der Girltruppe Tic Tac Toe. Aus der Band wurde nichts. Dabei soll Demmler, so beschreibt es die Anklageschrift, aufdringlich geworden sein. Die Mädchen soll er zu sexuellen Handlungen an sich selbst und an ihm gezwungen haben, immer und immer wieder. Bereits 2002 war Demmler wegen Missbrauchs zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Demmler will sich vorerst nicht zu den Vorwürfen äußern und schweigt. Mit schwer wiegenden Folgen für die jungen Frauen, die nun als Zeugen aussagen müssen. Würde Demmler gestehen, könnte ihnen das erspart bleiben.

Die Anwälte zweier Opfer stellten daraufhin den Antrag, die Öffentlichkeit während der Vernehmung der Zeugen auszuschließen und den jungen Frauen auch eine direkte Begegnung mit ihrem mutmaßlichen Peiniger zu ersparen. Beide seien in einer außerordentlich schlechten psychischen Verfassung und hätten das Trauma des Geschehens bis heute nicht überwunden. Ein Mädchen hat nach einem ärztlichem Gutachten in den letzten Jahren mehrfach Selbstverstümmelungen an sich vorgenommen. Außerdem habe der Angeklagte nach den Worten der Anwälte versucht, sie zu einer Rücknahme der Anzeige zu nötigen. Deshalb könne ihnen eine direkte Begegnung nicht zugemutet werden. Im Vordergrund stehe der Persönlichkeitsschutz der Betroffenen.

Das Gericht schloss sich den Anträgen an, und so wird die Öffentlichkeit an den nächsten Verhandlungstagen, wenn Zeugen zu Wort kommen, ausgeschlossen bleiben. Insgesamt sieben Sitzungstage sind vorgesehen, im März könnte das Urteil gesprochen werden.

Demmler war ein unangepasster Geist, ein Künstler mit Leib und Seele, der vor Ideenreichtum nur so sprühte. Sein 1985 veröffentlichtes Album »Die Lieder des kleinen Prinzen« wurde mit dem Nationalpreis belohnt. Nicht immer agierte er im Sinne der offiziellen DDR-Kulturpolitik und eckte an. Seine Programme wurden einer radikalen Zensur unterzogen. Er verurteilte die Biermann-Ausweisung, unterzeichnete eine Protestresolution und trat am 4. November 1989 bei der Massenkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz mit dem Spottlied auf die Staatssicherheit »Irgendeiner ist immer dabei« an die Öffentlichkeit.

Nach dem Ende der DDR blieben die Erfolge rar, es hieß, wieder ganz unten anzufangen. Seine letzte CD »Mein Herz muss barfuß gehen« erschien 2001, seitdem ist es still um ihn geworden.

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