Die Europäer sollen in Brüssel eine Stimme bekommen

Bürgerbewegung Newropeans will EU demokratisieren

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die europäische Bürgerbewegung Newropeans will erstmals bei den EU-Wahlen im Juni antreten. Gleich in zehn Ländern soll sie wählbar sein. Ihr Ziel ist, die EU näher an die Bürger zu bringen und den Machtapparat in Brüssel zu demokratisieren.
Bestimmen maßgeblich die EU-Politik: Kommissionsbeamte in Brüssel
Bestimmen maßgeblich die EU-Politik: Kommissionsbeamte in Brüssel

Funktioniert die EU nach den Regeln der Demokratie? Fragt man Harald Greib, bekommt man eine klare Antwort – nein. Zehn Jahre hat Greib selbst bei der EU gearbeitet. Mit hehren Zielen war der Jurist aus Wiesloch in den 90er Jahren nach Brüssel gekommen. Schnell musste er sich von der Idee verabschieden, dass dort alle an dem Gelingen eines gut funktionierenden Europas für die Menschen arbeiten. Karrieren und Macht seien die viel größeren Antriebsmotoren der meisten EU-Mitarbeiter, erzählt Greib. Oft seien es nicht die Politiker, die Entscheidungen herbeiführten, sondern die zahlreichen Beamten, die in Brüssel den großen Teil des Tagesgeschäfts der EU führen.

Enttäuscht von dieser Erkenntnis verließ der überzeugte Europäer Brüssel, wanderte ins südfranzösische Montpellier aus und arbeitet seitdem mit Gleichgesinnten an einem Projekt, dem bald seine Feuertaufe bevorsteht. Newropeans – etwa als »Junge Europäer« zu übersetzen – nennt es sich, ist eine Bürgerbewegung, die dem Demokratiedefizit bei der EU ein Ende bereiten will und bei den anstehenden Europawahlen im Juni erstmals um die Gunst der Bürger werben wird. In zehn Mitgliedstaaten der EU, neben Deutschland unter anderem auch in Frankreich, Spanien und Italien, will die Bewegung als Partei antreten. »Das ist bislang einmalig, eine kleine Revolution, weil bisher lediglich nationale Parteien in ihren jeweiligen Heimatstaaten für das Europaparlament wählbar sind«, erklärt Greib.

Der Hauptprogrammpunkt der Newropeans ist überall, wo sie antreten, derselbe: Mehr Macht den Bürgern! Sie sollen, ähnlich wie in vielen nationalen politischen Systemen vorgesehen, eine tatsächliche Kontrolle über die Entscheidungsträger in der EU und deren Politik bekommen. Umgesetzt auf die derzeitigen Gegebenheiten hieße das zum Beispiel: Die Bürger können darüber entscheiden, ob EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso auch nach Herbst 2009 im Amt bleibt oder nicht. Und wer eventuell sein Nachfolger wird. All das ist bislang nicht möglich. »Wir sind keine Partei im herkömmlichen Sinne, weil wir nicht die Politik festlegen, die in Europa geführt werden soll, sondern die Art ändern wollen, wie diese Politik gestaltet wird«, sagt Greib.

Ein bestimmtes soziales, konservatives oder liberales Profil hätten die Newropeans deshalb nicht. Es geht der Bewegung in einem ersten Schritt um die Reform des Apparats. Diese sieht eine verstärkte direkte Beteiligung der Bürger an der Europapolitik vor. Zum Beispiel über Volksabstimmungen. Denn: »Die Menschen sind durchaus an Europa interessiert und für EU-Politik zu begeistern«, so Greib. Es sei nicht die EU an sich, die die Bürger verdrießlich über Europa sprechen lasse. Sondern die undurchschaubaren politischen Prozesse in Brüssel.

Die Teilnahme an den Juni-Wahlen soll der erste Schritt zur Reform sein. Beim darauf folgenden europäischen Urnengang 2014 wollen die Newropeans dann den zweiten folgen lassen und in allen EU-Staaten antreten. Organisatorische Gründe haben sie in diesem Jahr noch davon abgehalten. Denn die nach nationalen Bestimmungen abgehaltenen Europawahlen zwingen die Bürgerbewegung dazu, sich in jedem einzelnen Land um eine Wahlzulassung zu bemühen. Für eine Bewegung mit nur rund 150 aktiven Mitgliedern eine große Herausforderung.

In Deutschland hat die Wahlaufsichtsbehörde kurz vor Weihnachten grünes Licht für eine – theoretische – Teilnahme der Newropeans an der Europawahl gegeben. Bedingung: Bis 28. Februar müssen 4000 Unterstützungsunterschriften zusammenkommen. »Ein erster Test für uns, um zu schauen, welche Dynamik wir entwickeln können«, sagt Greib.

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