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Ökonomie und Psychologie

  • Robert Kurz
  • Lesedauer: 3 Min.
»Jetzt wird die Krise ›psychologisch‹ erklärt, weil es keine objektiven Systemwidersprüche geben darf.«
»Jetzt wird die Krise ›psychologisch‹ erklärt, weil es keine objektiven Systemwidersprüche geben darf.«

In den vergangenen Monaten fragte sich der gesunde bürgerliche Alltagsverstand immer wieder, warum die hochkarätigen Experten den schwersten Kriseneinbruch seit 80 Jahren nicht vorhersehen konnten, sondern davon genauso überrascht wurden wie Hinz und Kunz. Der Grund für dieses Versagen ist darin zu suchen, dass die offizielle Wirtschaftswissenschaft gar keine theoretischen Begriffe hat, um das Potenzial eines inneren Selbstwiderspruchs in der kapitalistischen Entwicklung überhaupt wahrnehmen zu können. Im Gegensatz zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie betrachtet sie den Verwertungsprozess als widerspruchsfreies Quasi-Naturgesetz. Deshalb beschäftigt sie sich gar nicht mit dem Zusammenhang von »gesellschaftlicher Gesamtarbeit«, Wertbildung und Kreditsystem. Stattdessen hat sie es nur mit äußerlich aufeinander bezogenen »Faktoren« zu tun. Aus dieser Sicht ist die Produktion eines Finanzderivats bis zum Beweis des Gegenteils genauso real wie die Produktion einer Waschmaschine. In der sogenannten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden nur Ströme von Geldeinkommen empirisch erfasst, egal woher sie eigentlich stammen.

Auf der Grundlage dieser Anti-Wissenschaft waren es nur wenige Außenseiter, die in den empirischen Daten zuletzt wenigstens soweit ein Missverhältnis erkannten, dass sie die Unhaltbarkeit der Hypotheken-Kreditblasen und deren Platzen voraussagen konnten. Die Tragweite für das Gesamtsystem blieb allerdings auch ihnen verborgen.

Das Gros der Ökonomen aber rechnete munter die globale Defizitkonjunktur auf Jahre hinaus hoch, teilweise sogar bis 2020. Die peinliche Blamage dieser Prognosen ist schon wieder Schnee von gestern. Jetzt wird die Krise »psychologisch« erklärt, weil es keine objektiven Systemwidersprüche geben darf. Getreu der Devise, dass die Wirtschaft »zu 90 Prozent Psychologie« sei, führt man das Finanzdesaster auf subjektives Fehlverhalten zurück, von dem man vorher nichts wissen wollte. Und gibt die großväterliche Weisheit zum Besten, die Finanzjongleure und ihre Kundschaft hätten irgendwie über ihre Verhältnisse gelebt. Andererseits soll der Staat durch Garantien und konjunkturelle Anschubhilfen wieder »Vertrauen« bei den psychologisch angeschlagenen Akteuren schaffen. Dann werde sich das Wirtschaftsgemüt schon wieder berappeln.

Aus der Sicht der Marxschen Krisentheorie hat sich aber in der Finanzblasen-Ökonomie der letzten 20 Jahre ein Entwertungsschub angestaut, der in der inneren Schranke der realen Verwertung angelegt ist. Die Befindlichkeiten der Wirtschaftssubjekte haben damit gar nichts zu tun.

Sowohl Ökonomen als auch Praktiker des Managements ahnen natürlich, dass die wirtschaftspsychologische Therapie diesmal in die Hose gehen könnte. Das dürfen sie jedoch nicht laut sagen, weil sie sonst ja durch angebliche Panikmache eine sich selbst erfüllende negative Prophezeiung aussprechen würden, indem sie auf diese Weise die schöne psychologische Besserung wieder kaputt machen. So orakeln die von Subventionen und damit von politischem Wohlverhalten abhängigen Wirtschaftsinstitute schon wieder über ein Ende der Krise und spähen imaginäre Silberstreifen am Horizont aus. Wenn sich die aus dem Hut gezauberten Hoffnungen abermals blamieren, könnten die Experten wenigstens eine Treueprämie für gefälligen Berufsoptimismus verlangen. Dann wäre freilich endgültig klar, dass die Wirtschaftswissenschaft unter falschem Namen firmiert.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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