Wenn sechs Huskydamen Fersengeld geben

Schlittenhundetour mit Hindernissen und jeder Menge Anfängerpech in Norwegen

  • Karsten-Thilo Raab
  • Lesedauer: 5 Min.

Von wegen, der Kutscher kennt den Weg. Die Hundemeute ist es. Sie bestimmt nahezu allein das Tempo und die Route. Was vermutlich an ihrem Naturell liegt. Denn Schlittenhunde sind irgendwie energetisch, voller Taten- und Bewegungsdrang. Ihre große Leidenschaft ist das Laufen. Wenn sie nicht schlafen oder fressen, steht ihnen der Sinn nur nach laufen, laufen und laufen.

Ihr Revier ist der zugefrorene und von einer dichten Schneedecke überzogene Vanneviken, ein riesiger See vor den Toren von Hemsedal, einem der größten Wintersportgebiete in Norwegen. Von Anfang an wird deutlich, wie unterschiedlich die Charaktere der Hunde sind. Einige liegen entspannt im Schnee. Andere hüpfen laut bellend auf und ab und können es gar nicht abwarten, bis die wilde Hatz beginnt. In wenigen Worten erklärt Johan Müller, der seit dem Jahre 2002 Schlittenhundetouren anbietet, die Handhabung der Schlitten. Neben einer Schleifbremse, die dafür sorgt, dass das Tempo nicht zu hoch wird, verfügt das Gefährt über eine Fußbremse sowie einen Anker. Mit beiden Füßen steht er auf der Schneebremse. Erst dann löst er den Anker, während er sich mit einer Hand galant am Bügel des Schlittens festhält. Die Meute ist nun nicht mehr zu halten. Lautes bellen, jaulen und heulen gehört dazu.

Kein Blick zurück

Schnell bringen auch wir beiden »Azubis« unseren Schlitten in Bewegung. Scheinbar mühelos nehmen die sechs Hunde auf 24 Pfoten Tempo auf. Über Stock und Stein jagt unser Gespann dem hinterher, das Johan Müller führt. Keinen Blick zurück werfen die Hunde – als Passagier und Hobby-Musher sind wir für sie Luft. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass Stefan und ich zusammen fast 200 Kilogramm auf die Waage bringen. Und während wir noch lustig darüber spekulieren, wann die Schwanzwedler wohl angesichts unseres Gewichts kapitulieren werden, geben Josse, Marika, Laila & Co weiter mächtig Fersengeld, ohne das Tempo auch nur minimal zu drosseln. Stattdessen scheinen sich die flauschigen Bellos einen Spaß daraus zu machen, möglichst dicht an Bäumen und Sträuchern vorbeizulaufen. Die Hunde fahren mit uns im wahrsten Sinne des Wortes Schlitten. Ständig müssen wir vor heranfliegenden Ästen in Deckung gehen. Wenig später erreichen wir ein großes Stück der Seenplatte. Plötzlich nimmt es uns inmitten der Idylle den Atem – unser Gespann hat kollektive Blähungen. Die Mischung aus Trockenfutter und Fleisch, mit denen die Hunde gefüttert werden, setzt ganz besondere Düfte frei und treibt uns fast die Tränen in die Augen.

Als Rückstoßbeschleuniger à la Raketenantrieb scheint das Biogas allerdings nicht geeignet. Denn der Abstand zu dem vorausfahrenden Gespann wird nun ständig größer. Sollten die Hunde doch nicht so ausdauernd sein, wie man gemeinhin glaubt? Sind wir doch zu schwer? Sollten wir Ballast abwerfen? Oder gar eine Pause einlegen? Wir versuchen es mit Anfeuerungsrufen: »Hopp, hopp!« Keine Reaktion. Vielleicht verstehen die Hunde auch nur Norwegisch. Diesbezüglich sind wir jedoch schnell mit unserem Latein am Ende. Stefan greift in die weiße Pracht neben dem Schlitten, formt einen paar Schneebälle und versucht, die Hunde mit dezenten Würfen auf das Hinterteil anzutreiben – vergebens. Also entscheiden wir uns, eine kurze Pause einzulegen.

Ohne Mitleid für Eleven

Einige der Hunde werfen sich sofort in den Schnee und wälzen sich hin und her, um sich abzukühlen. Die übrigen hüpfen wie Flummis auf und ab, können es gar nicht abwarten, bis es weitergeht. Auch Johan Müller hat sich so seine Gedanken über unser Tempo – vielleicht auch über unser Gewicht – gemacht. Er tauscht zwei seiner Hunde mit zwei von unseren aus. »Statt des VW-Motors habt ihr jetzt einen Ferrari vor dem Schlitten. Alles Frauen mit Power«, flachst der ansonsten eher wortkarge Guide.

Doch auch mit den Turbo-Huskys hinken wir deutlich hinter Johan Müller her. Als wir am Ufer des Sees eine steile Böschung hochfahren, zeigt Stefan Herz. Er springt vom Schlitten, damit die Hunde nicht so schwer asten müssen. Ein fataler Fehler, wie sich schnell rausstellt. Stefan hatte in einem Anfall geistiger Umnachtung die goldene Regel außer Acht gelassen. Schließlich hatte uns Johan Müller mehrfach vor der Fahrt eingebläut, niemals, wirklich niemals und unter keinen Umständen den Schlitten loszulassen. Nun ja, Stefan hatte es doch gut gemeint. Kaum sind seine Füße von den Stehlen, geben die Hunde richtig Fersengeld. Ganz schön rüde, wie die sechs liebliche Hundedamen sich hier als Lehrmeisterinnen aufspielen. So lustig das Bild mit dem durch den Tiefschnee watenden, völlig verzweifelten Stefan anmutet, so schnell wird mir meine missliche Lage bewusst. Ohne Fuß an der Bremse oder Zugriff auf den Anker habe ich keine Möglichkeit, die vierbeinigen Rennmaschinen zum Halt zu bringen. In einem irrsinnigen Tempo schießt das Hundegespann über die Ebene. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon samt Schlitten um einen Baum gewickelt, als Johan Müller, der das Geschehen aus der Ferne beobachtete, mit einem Hechtsprung die Hunde zu fassen bekommt.

Nach diesem kleinen Abenteuer ändert sich unsere Sichtweise. Plötzlich gefällt es uns, dass unserer Sechsergespann mit mäßiger Geschwindigkeit weiterläuft. »So können wir die herrliche Landschaft besser genießen«, trösten wir uns, während sich die einstündige Tour mit riesigen Schritten dem Ende nähert.

  • Infos: Innovation Norway, Postfach 113317, 20433 Hamburg, Tel.: (0180) 500 15 48, www.visitnorway.de
  • Infos zu Schlittenhundetouren: Hemsedal Turistkontor, Postboks 3, N-3561 Hemsedal, Tel.: (0047) 32 05 50 30, www.hemesedal.com. Von Mitte November bis Anfang Mai werden die Schlittenhundetouren montags bis samstags angeboten.
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