Angst vor dem unruhigen Berlin

Vor 90 Jahren wurde in Weimar die Nationalversammlung eröffnet

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 2 Min.

Der 6. Februar 1919 war ein schneetrüber Donnerstag. An diesem Tage schaute man in ganz Deutschland auf Weimar, die einstige Residenzstadt der Großherzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach. Vorbei am Wahrzeichen der Stadt – dem Doppelstandbild von Goethe und Schiller, das Christian Rauchs Meisterschüler Ernst Rietschel geschaffen hatte – zogen die Abgeordneten der Nationalversammlung in das Theater ein. Der Saal war mit Lorbeerbäumen und Girlanden geschmückt. Aus Berlin hatte man das Gestühl des Reichstags herbeigeschafft.

Die Wahlen zur Nationalversammlung hatten am 19. Januar stattgefunden. Gewählt wurde auf der Basis einer Verordnung des Rates der Volksbeauftragten vom 30. November 1918. Diese Verordnung hatte gegenüber dem Wahlrecht der Kaiserzeit drei entscheidende Neuerungen gebracht: Das Wahlalter war von 25 Jahren auf 20 herabgesetzt worden. Die Frauen hatten das aktive und passive Wahlrecht erhalten. Anstelle des Mehrheitswahlrechts war das gerechtere Verhältniswahlrecht eingeführt worden. Es hatte vor der Wahl keinerlei Beschränkungen bei der Zulassung von Parteien gegeben. Die KPD beteiligte sich jedoch nicht, weil sie so gegen die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg protestieren wollte.

Die SPD hatte 37,9 Prozent der Stimmen erhalten, die USPD 7,6, die liberale Deutsche Demokratische Partei 18,6, die Zentrumspartei 19,7 und die Rechtsparteien DNVP und DVP zusammen 14,4 Prozent. Es gab somit eine bürgerliche Mehrheit, zugleich eine überwältigende Majorität für eine Mitte-Links-Regierung.

Berlin hatte in den ersten beiden Januarwochen eine revolutionäre Massenbewegung erlebt, die mitunter noch immer fälschlich als »Spartakus-Aufstand« bezeichnet wird. Regierungstruppen und konterrevolutionäre Freikorps hatten die Bewegung blutig niedergeworfen. Die sozialdemokratische Reichsregierung (der Rat der Volksbeauftragten) wollte das neugewählte Parlament nicht im gerade erst »befriedeten« Berlin haben, sondern in einer kleineren, ruhigeren Stadt. Man hatte neben Weimar unter anderem auch Jena, Kassel und Nürnberg in Erwägung gezogen.

Von Februar bis August 1919 hielt sich nicht nur die Nationalversammlung, sondern auch die Regierung mit einer Heerschar von Mitarbeitern in Weimar auf. Die Stadt wurde in dieser Zeit durch die 4000 Soldaten des »Freiwilligen Landesjägerkorps« hermetisch abgeriegelt. Man ging zügig ans Werk. Am 11. Februar wurde Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten gewählt, am 13. Februar die von SPD, DDP und Zentrum getragene Regierung Scheidemann gebildet und am 31. Juli die Verfassung der Republik verabschiedet. Damit hatte Deutschland das parlamentarische Regierungssystem eingeführt. Weil die Verfassung in Weimar angenommen worden war und die Republik sich hier konstituiert hatte, sprach man fortan von der »Weimarer Verfassung« und der »Weimarer Republik«.

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