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  • Reportage - Jordanien

Mit dem Blick auf das Gelobte Land

Seit Jahrzehnten im Schatten des Nahostkonflikts versucht das Haschemitische Königreich Jordanien einen politischen Spagat zwischen den Interessen der Millionen palästistinensischer Flüchtlinge im Land und dem Ausgleich mit dem israelischen Nachbarn

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 7 Min.
Abdullah-Moschee, Wahrzeichen von Amman
Abdullah-Moschee, Wahrzeichen von Amman

Der Blick schweift über das ausgetrocknete gelb-braune Tal. Hier und da ein paar Ölbäume bilden die einzigen belebenden Tupfer. Wir stehen auf jordanischem – historisch gesehen palästinensischem – Gebiet, 800 Meter über dem Meer auf dem biblischen Berg Nebo. Von hier aus soll Moses, kurz vor seinem Tode, auf Geheiß Gottes ins Gelobte Land geschaut haben, das er aber nicht betreten durfte. Dort unten irgendwo in der Moab-Ebene liegt sein bis auf den heutigen Tag unentdecktes Grab.

Auf einer Tafel lesen wir die Entfernungen: »Nablus 66 km, Hebron 65 km, Ramallah 52 km, Bethlehem 50 km, Jericho 27 km, Jerusalem/Ölberg 46 km«. Alle diese Städte befinden sich auf der von Israel seit 1967 besetzten Westbank, dem westlichen von Palästinensern besiedelten Ufer des Jordans, und rufen mit einem Schlag ins Bewusstsein, dass der Nahostkonflikt ganz nah ist und das leidende Gaza auch nur etwas mehr als 100 Kilometer vom Berg Nebo entfernt liegt.

Der Monarch setzt auf die Diplomatie

Das Haschemitische Königreich Jordanien lebt, mit fast zweieinhalb Millionen palästinensischen Flüchtlingen auf seinem Staatsgebiet, im Schatten dieses Konflikts. Es hat im Jahre 1994 unter König Hussein mit Israel seinen Frieden gemacht, mit den USA als »Mentor« des Abkommens. Ammans prowestliche Politik war damit zementiert. Es geht jeder Kontroverse mit Tel Aviv aus dem Weg. König Abdullah II., im ganzen Land tapfer in Militäruniform von Postern blickend, lehnt sich bezüglich einer Nahostregelung nicht weit aus dem Fenster. Sein auch während des jüngsten israelischen Gaza-Krieges wiederholter Standpunkt: Eine Konfliktlösung muss auf der Existenz von zwei Staaten basieren. Sie muss das Recht der Palästinenser auf einen unabhängigen Staat und die Gewährleistung der Sicherheit Israels einschließen. Die Friedensinitiative, 2002 von Saudi-Arabien ergriffen und 2007 als gesamtarabischer Vorschlag formuliert, sieht er als echten Weg in diese Richtung.

Die Jordanier und die palästinensischen Flüchtlinge, die in etlichen Lagern im Königreich leben, haben sich weniger zahm gezeigt, als es darum ging, der Bevölkerung in Gaza Solidarität zu bekunden und Israel anzuprangern. Auf Demonstrationen zogen Zehntausende durch Amman und andere Städte, forderten den Rauswurf des israelischen Botschafters und den Abbruch aller Beziehungen zu dem Nachbarland. Der König ließ sie gewähren, auch wenn seine Gendarmen mehrfach mit Knüppeln und Tränengas gegen die Protestierenden vorgingen.

»Ahlan wa Sahlan.« Mit dieser herzlichen Begrüßungsformel empfangen die fremdenfreundlichen Jordanier ihre Gäste. Dennoch halten sie in den anschließenden Gesprächen politischen Inhalts mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Beispielsweise zu der Idee des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi, auf dem heutigen israelisch-palästinensischen Gebiet einen Einheitsstaat »Isratine« als einzige vernünftige Alternative zu dauerhafter Feindschaft, zu Konflikt und Krieg zu etablieren. »Der Mann ist ein Fantast. Er spürt wohl den tiefen Hass zwischen den meisten Palästinensern und Israelis nicht. Nach dem Massaker in Gaza geht auf unabsehbare Zeit gar nichts mehr. Wenn man schon nicht friedlich nebeneinander leben kann, die Palästinenser als Menschen mit Rechten, mit Würde und Wünschen nicht anerkannt werden, wie soll das dann unter einem gemeinsamen Dach klappen?« Unser Wirt Omar Tahir in Amman und etliche Gäste, die sich unserer hitzigen Debatte angeschlossen haben, sind da einer Meinung: »Das geht nicht!« Wir zitieren aus einem Interview mit dem Hamas-Führer Musa Abu Marsuk, in dem er gefragt wurde, ob es stimme, dass seine Organisation »alle Juden ins Meer treiben« wolle. Marsuk deutet in seiner Antwort an, dass er sich in der Geschichte der Juden, deren Vertreibung, Diskriminierung, dem Holocaust, auskennt, und sagt dann: »Wir haben kein Problem mit anderen Religionen. Ich kann kein Muslim sein, ohne an Jesus zu glauben. Ich kann kein Muslim sein, ohne an Moses zu glauben. Ich habe auch diese Propheten zu achten. Meine Religion lehnt jede Form von Diskriminierung ab. Deshalb ist es reine Propaganda zu sagen, wir wollten die Juden ins Meer werfen.« Nicken in der Runde. Das sei doch vernünftig, was Marsuk erklärt, und es unterstreiche die Notwendigkeit, dass man mit der Hamas reden und verhandeln kann und muss.

Ein noch umfassenderes Stimmungsbild aus der Sechs-Millionen-Bevölkerung liefert uns am nächsten Morgen ein Bericht in der Zeitung »The Jordan Times«. Sie veröffentlicht eine Meinungsumfrage. 49 Prozent der befragten Jordanier glauben demnach, dass die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates »definitiv kein Ziel der USA« sei. 76 Prozent sind gegen US-Marinebasen im Golf. 77 Prozent sind überzeugt davon, dass der neue US-Präsident Barack Obama den israelisch-arabischen Konflikt angehen und die Okkupation Iraks beenden muss, wenn er den Ruf der USA in der Region verbessern will. Auf das Stichwort »Washingtons Ansehen« reagiert unser Fahrer Sufian Ibrahim so: »Wir haben uns die Szene im Fernsehen immer wieder angeschaut, als der irakische Journalist Montasser al-Saidi seine Schuhe auf Präsident Bush abfeuerte. Das war hier tagelang Stadtgespräch. In vielen Familien sah man den Journalisten als Helden.«

Spuren der Finanzkrise unübersehbar

Auf unserer Autofahrt von Nord nach Süd durch sieben der 12 Provinzen des rund 90 000 Quadratkilometer großen Königreiches wechseln die Landschaften eindrucksvoll. Im Norden Richtung syrische Grenze bei Jerash und Ajlun bewaldetes Hügelland, Pinien und Eukalyptus, Oliven- und Orangenhaine. Am Straßenrand verkaufen Bauern frische Tomaten, Radieschen, Mohrrüben, Mandarinen und Melonen sowie Oliven im Glas. Später im Gebiet am Toten Meer sehen wir die Ernte der Tomaten und Auberginen in vollem Gange. Ajlun bietet sein mächtiges Kastell als Touristenattraktion an, kann freilich nicht mit dem aus Fels gehauenen Wunderwerk Petra viel weiter südlich konkurrieren. Petra mit täglich rund 3000 Besuchern lieferte 2008 mit 12,6 Millionen Dinar (etwa gleichwertig mit dem Euro) 82 Prozent der gesamten Einkünfte aus dem Tourismus, dem wichtigsten Industriezweig Jordaniens. Ajlun hingegen zählt seine Tagesbesucher höchstens zu Dutzenden. Der Ort und die Gegend gelten als Armenhaus Jordaniens, mit einer kümmerlichen Landwirtschaft, die von spärlichen Regenfällen abhängig ist. 90 Prozent der Bevölkerung verdienen weniger als 300 Dinar im Monat, die Hälfte lebt unter der Armutsgrenze. Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet. Obendrein, so schrieb der Kolumnist Yusuf Mansur, steckten viele ihr mühsam Erspartes in der Hoffnung, sich bei guten Gewinnen aus der Misere befreien zu können, in dubiose Fonds. Mit der globalen Finanzkrise ging alles den Jordan runter.

Wir sind nun auf Südkurs. Sufian Ibrahim hält an einer Tankstelle. Für eine Tankfüllung von knapp 30 Litern blättert er zehn Dinar hin. Ein Liter umgerechnet zirka 35 Cent. Dieser Preis aber ist eine Ausnahme. Das Leben ist ansonsten teuer in Jordanien, ganz besonders in der Drei-Millionen-Metropole Amman, dem Finanz- und Wirtschaftszentrum. »Die Inflationsrate sank zwar 2008 von 22 auf 15,4 Prozent, doch wir müssen immer noch knausern. Mit meinem Gehalt als Taxifahrer muss ich sechs Personen durchbringen. Das reicht vorn und hinten nicht«, erzählt Herr Ibrahim.

Wir sind nun auf dem »King’s Way« unterwegs, einer der drei Straßen zwischen Amman und Akaba, der südlichen und einzigen Hafenstadt des Landes. Die beiden anderen sind der schnellere östliche »Desert Highway« und die »Wadi Araba Road« im Westen nahe der Grenze zu Israel. Zwischen Karak und Tafila ducken sich schwarze Beduinenzelte in die zu dieser Jahreszeit trockenen Täler. Wo die Schafherden der Beduinen, die unverkennbar ein äußerst bescheidenes Dasein fristen, hier noch etwas zu grasen finden, bleibt uns schleierhaft.

Den schreienden Gegensatz zu dieser Kargheit bildet unser Tagesziel Akaba am gleichnamigen Golf. Hier schlägt Jordaniens zweites Herz. Hier befindet sich mit dem einzigen Hafen des Landes das »Exporttor«. Hier entsteht ein internationales Transport- und Logistikzentrum. Die Fähren von und nach Ägypten befördern jährlich 1,3 Millionen Passagiere und tausende Lkw. Hier sorgt seit dem Jahr 2000 eine Wirtschaftssonderzone für Beschäftigung. Hier schießen Hotels, Ferienwohnungen, Restaurants und Residenzen aus dem Boden. Auf der anderen Seite der Bucht erinnert gut sichtbar die israelische Hafenstadt Eilat daran, dass in dieser Region noch längst nicht alles normal ist.

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