Wie im Rausch

Lyrikdebüts 2008 in der Literaturwerkstatt Berlin

  • Sybille Walter
  • Lesedauer: 3 Min.
Bloß Fassade, dennoch pure Poesie.
Bloß Fassade, dennoch pure Poesie.

Es gibt sie wieder, die schmalen Bände mit Gedichten. Veröffentlicht werden sie allerdings kaum einmal in den großen Verlagen, eher gehen kleinere Editionshäuser das »Risiko Lyrik« ein, geben neuen Dichtern und ihren Arbeiten Öffentlichkeit. Vier Autoren, deren Buch-Debüts im vergangenen Jahr erschienen sind, stellte die Literaturwerkstatt Berlin am Donnerstag vor und präsentierte den Zuhörern einen Abend der schönen Literatur. Dabei korrespondierten die unterschiedlichen Texte und Schreibweisen durchaus, ganz so, wie es der Literaturwissenschaftler Peter Geist zur Eröffnung hoffte. Für Entwicklungstendenzen der neuen deutschen Gegenwartslyrik stehen diese vier allerdings bisher nicht: Jede(r) sprach hier für sich selbst – auch wenn es bei den drei Damen durchaus Ähnlichkeiten in der Arbeit und im Umgang mit dem Wort gab.

Mir waren dabei die Gedichte von Lisa Elsässer, geboren 1951, erschienen im Band »Ob und darin« (edition pudelundpinscher) am nächsten – Sprachspiele auf engstem Raum, im Blocksatz zu Papier gebracht, um Gedankenwege aufzuzeigen, Verbindungen ebenso wie überraschende Kontraste und Mehrdeutigkeiten. Sie sagt ganz nüchtern »lange schon sitze ich hier mit mir am Tisch«, um in einem anderen Text gar nicht nüchtern zu fragen, weshalb ein 90-Jähriger obduziert werden muss, nur weil er es nicht schaffte, 100 Jahre alt zu werden.

Andrea Heuser, geboren 1972, hat wissenschaftlich gearbeitet, hat ein Musiklibretto geschrieben und ein Jahr lang in einem Indianerreservat gearbeitet. Publiziert hat sie den Band »vor dem verschwinden« bei onomato. Ihre kurzen Texte nennt Andrea Heuser Momente des Innehaltens, die Längeren Dialoge. Vorhersagen kann sie das Arbeitsergebnis nicht. Mir kam ihre Auswahl beim ersten Hören ein wenig kopflastig vor, Ausnahmen inklusive. Sehr schön ihr »Glück: Ich ging weiter.«

Durchaus ironisch, oft wie im Rausch, dabei hochkonzentriert und immens musikalisch sind die Wort- und Gedankenspiele der 1982 geborenen Mara Genschel. Sie stellte sich mit ihrem Band »Vor dem Sprechen kommt das Singen«, erschienen in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung vor: Arbeiten, die sich mir beim ersten Hören trotz der klanglichen Assoziationen kaum erschlossen haben, die ich vielleicht nachlesen möchte.

Ganz anders der Ton, den Timo Berger, Jahrgang 1974, in die Literatur einbringt: Berger arbeitet als Übersetzer aus dem Spanischen und Portugiesischen, hat lange in Argentinien und Brasilien gelebt. Er ist der Literatur dort und ebenso einer anderen Weltsicht verbunden. Sein Buch »Ferne Quartiere«, erschienen in der Lyrikedition 2000, macht dies sehr prägnant deutlich zum Beispiel in »Botanischer Garten«: »Wir leben auf der Haben-Seite der Stadt« (Rio de Janeiro).

Peter Geist hatte den Besuchern zur Eröffnung vier unterschiedliche Handschriften und damit nicht Zuviel versprochen. Das hatten vor den Zuhörern offenbar bereits die Verlage bemerkt: Andrea Heuser und Mara Genschel waren wegen einer Buchpublikation angesprochen worden, Timo Berger kannte die Verantwortlichen. Nur Lisa Elsässer hatte sich einen Verlag gesucht.

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