Grob & zart

Im Wettbewerb: »Lille Soldat« von Annette K. Olesen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
Lotte (Trine Dyrholm)
Lotte (Trine Dyrholm)

Ihr Gesicht ist wie eine Wüste. Verbrannte Erde. Hier wächst nichts, so meint man. Aber das stimmt nicht, es dauert nur etwas länger, bis man die winzigen Regungen bemerkt. Ganz tief drin ist da etwas, das darauf wartet, zu wachsen. Ein Gefühl?

Lotte – die in ihrer eckigen Herbheit doch auch hochsensible Trine Dyrholm – kommt aus dem Krieg in ihren Heimatort zurück. Welcher Krieg, das erfahren wir nicht, nur dass sie eine Fremde geworden ist, das scheint sicher. Warum sie dann überhaupt zurückkommt in die engen und zugleich trostlosen Verhältnisse? Man muss sehr allein, ganz ohne Hoffnung sein, wenn man in diese Stadt zu diesem Vater, der eine »Begleitagentur« betreibt, zurückkehrt. Das ist schmuddeligstes Rotlichtmilieu, in dem Seelenrohheit mit Apathie einhergeht. Was allein zählt, das sind die Geldscheine, die hier von Hand zu Hand wandern. Ihr Vater (Rasmus Botoft) ist ein einziger trauriger Witz. Ein jovialer Zuhälter, der den Papa spielt für seine afrikanischen Mädchen und sie doch jeden Tag an Kunden verkauft, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Ein Geschäft, je perverser desto teurer. Lotte steht stumm daneben, der Vater will, dass sie die Mädchen chauffiert und das Geld kassiert. Das kann sie, denn sie hat ein breites Kreuz und wenn sie zuschlägt, dann sinkt jeder Mann zu Boden. Hinterher muss sie dann immer viel Wodka trinken.

Auf den ersten Blick scheint sie wie gemacht für dieses gefühllose Milieu des Menschenhandels. Routiniert erledigt sie ihren Job. Und doch, es schmerzt beim Zuschauen besonders, wie es knallt, wenn der Vater ihr zur Ermunterung auf die Schulter haut. So sind die Gesten in »Lille Soldat«: grob. Zärtlichkeit scheint ausgestorben, wo nur das Geld zählt. Und doch, in Lottes Augen liegt etwas, das erlöst werden will. Und Lily (Lorna Brown) aus Nigeria, die mit dem Geld, das sie in Dänemark verdient, zu Hause ihr Kind ernährt, wird zur Projektionsfläche für ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe. Woher die tiefen Verletzungen bei Lotte kommen, darüber hätte man gern mehr erfahren, aber die Regisseurin Annette K. Olesen wahrt das Geheimnis ihrer Vorgeschichte. Minutiös zeichnet sie ein höchst spießiges Milieu nach, in dem auch die Erotik etwas gartenzwergiges bekommt und die gekaufte Lust-Zeit auf der Eieruhr in Form einer Zitrone mitläuft. Ein gemeiner Zug beherrscht hier jede Geste und Lotte registriert diesen tristen Krieg gegen sich selbst, den die Kleinbürger für Amüsement halten.

Annette K. Olesen war bereits dreimal auf der Berlinale vertreten, im Wettbewerb zuletzt mit »Kleine Missgeschicke«. Ihr Film kommt ganz aus der dänischen Schule, grobkörnig, dicht dran an den Gesichtern, von präziser Alltagspoesie, die zugleich schmerzt und beglückt. Ein Film der Gegenläufigkeiten, mit Bildern, die sich einbrennen. Und das nicht, weil sie besonders spektakulär wären, sondern weil sie auf intimstem Raum eine Gewalt erzeugen, der man kaum auszuweichen vermag.

Am Ende beginnt Lotte dann tatsächlich wie ein Soldat im Einsatz zu handeln. Sie unternimmt etwas, das einer Befreiung nahe kommt. Lily wird mit Geld und Pass zurück zu ihrem Kind nach Nigeria geschickt. Das ist, wie man ahnt, eher der Versuch einer Selbstbefreiung, die endgültige Loslösung von ihrem Vater, der nicht weiß, was Liebe ist, weil er zulange mit den Posen von Liebe gehandelt hat. Lily aber – dies ist der Störfall für jeden Befreiungskrieg! – will gar nicht befreit werden. Sie fühlt sich wieder nur – diesmal von Lotte – instrumentalisiert, von ihren guten Absichten missbraucht.

Ein moralischer Schluss also, oder das ad-absurdum-Führen eines solchen? Wenn man unter Moral versteht, andere zu befreien, dann zweifellos letzteres. Wenn es aber um Selbstbefreiung geht, dann ist er wohl im besten Sinne moralisch.

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