Um Pascal ging es nie

Saarländische Ministerin wegen polizeilicher Abhöraktion unter Druck

  • Martin Sommer
  • Lesedauer: 4 Min.
Peter Müller und seiner alleinregierenden CDU droht im Saarland Ungemach – knapp sechs Monate vor den Landtagswahlen. Jetzt fordert die SPD den Rücktritt seiner heutigen Bildungsministerin. Grund ist ein strittiger Fall von Telefondaten-Erhebung.

Im Jahr 2003 hatte die Polizei die Telefondaten eines V-Mannes kontrolliert und gespeichert. Die Gespräche selbst wurden zwar nicht aufgezeichnet, wohl aber alle Rufnummern. Das Amtsgericht hatte die Aktion genehmigt, fühlt sich jetzt aber getäuscht. Politisch verantwortlich war die damalige Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbau (CDU). Jetzt wird ihr Rücktritt als Bildungsministerin gefordert.

Schon im September 2001, war der damals fünfjährige Pascal aus Saarbrücken-Burbach spurlos verschwunden. 13 Menschen wurden angeklagt, ihnen wurde vorgeworfen, Pascal missbraucht und ermordet zu haben. Alle Angeklagten wurden jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen, der Bundesgerichtshof hat die Freisprüche inzwischen bestätigt.

Bernhard S., ein Informant der Polizei, hatte ganz konkrete Angaben über den vermeintlichen Tatort, eine Kneipe in Saarbrücken, gemacht. Kurze Zeit später erschien im »Spiegel« ein Artikel, in dem die Ermittler auch Einzelheiten lesen konnten, die ihnen bis dahin nicht bekannt waren.

Nur Informant gesucht

Das Amtsgericht hatte Verständnis dafür, dass sie herausfinden wollten, wie viel Bernhard S. wusste und ob er Informationen zurückhielt. Um den Mann zur Nachvernehmung der Polizei bestellen zu können, hätten die Telefondaten dienen können, und schließlich hätte das alles der Aufklärung eines mutmaßlichen Mordfalles dienen können.

Hätte, könnte, sollte – im Nachhinein sieht die Sache ganz anders aus. Die Richter stellen ernüchtert fest, dass es »von Anfang an nicht um die Gewinnung weitergehender Informationen in dem Ermittlungsverfahren« ging, nicht um den Verbleib des Jungen also, »sondern allein um den Nachweis, dass der Antragsteller Informant des Spiegels gewesen sei«. Wenn die Richter das aber gewusst hätten, hätten sie die Erhebung niemals durchgehen lassen, urteilt das Amtsgericht jetzt.

Die Tatsache, dass Bernhard S. dem Spiegel Informationen steckte, war der Polizei lange bekannt. Zwei Kripo-Beamte gaben im August des vergangenen Jahres vor dem Innenausschuss des Landtags zu, dass S. schon Mitte März 2003 erklärt hatte, mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin in Kontakt zu stehen – zwei Tage, bevor die Spitzelaktion initiiert wurde.

Die ganze Aktion sorgt schon länger für Wirbel im beschaulichen Saarland. Denn weder die »Spiegel«-Redaktion noch die SPD-Fraktion wurden darüber informiert, dass auch ihre Rufnummern von der Polizei gespeichert worden waren – obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist. Erst vor ein paar Monaten kam alles ans Licht und wurde zur politischen Affäre.

»Es wird immer nur das zugegeben, was man eh nicht mehr verbergen kann«, erklärt der Generalsekretär der SPD im Saarland, Reinhold Jost. »Es sollte zuallererst darum gehen, die Informanten insbesondere des Spiegel auffliegen zu lassen – eine Versündigung am grundgesetzlich geschützten Informantenschutz«, meint er. »Aber es sollte wohl auch versucht werden, ein entsprechendes Verfahren hinsichtlich der politischen Auseinandersetzung mit der SPD vorzubereiten.« Die Sozialdemokraten fordern politische Konsequenzen: Annegret Kramp-Karrenbau soll vom Amt der Bildungsministerin zurücktreten, das sie seit 2007 ausübt.

Aber auch der noch heute amtierende Innenstaatssekretär Gerhard Müllenbach steht im Visier der Opposition. Und von der Saarbrücker Staatsanwaltschaft will die SPD wissen, »inwieweit sie sich getäuscht fühlt oder sich hat instrumentalisieren lassen«, erklärt Jost. Ob sie also Opfer oder Täter der Täuschung war. Müllenbach geht »nach wie vor davon aus, dass 2003 die saarländische Polizei einen rechtlich einwandfreien Antrag stellte und das Gericht korrekt handelte«.

Sekretär im Kreuzfeuer

Auf Antrag von SPD und Grünen wird sich der Rechtsausschuss nächste Woche mit dem Thema befassen und Müllenbach wohl ins Kreuzfeuer nehmen. Auch die anderen Oppositionsparteien sind sauer. Die Grünen fragen sich, warum das Gericht nicht schon damals erkannt hat, dass die Datenerhebung rechtswidrig ist.

»Die damalige Innenministerin und vor allem auch das Justizministerium sind in der Verantwortung, dies zu erklären«, meint die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Willger-Lambert. Jede Speicherung von Telefondaten stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar. Deshalb müssten im Vorfeld ja auch Richter einer solchen Aktion zustimmen. Dieser »Richtervorbehalt« sei im Saarland aber »scheinbar wirkungslos – eine schwere Bürde für den Rechtsstaat«. Willger-Lambert kennt sich gut aus im Fall Pascal, denn sie war im Prozess die Vertreterin der Nebenklage.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal