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Die drei bösen Worte

»Terror, Mord, Repression« – ein Interview und seine Folgen

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 6 Min.
Bis heute muss sich der Schweriner LINKE-Fraktionsvize Helmut Holter für ein Stern-Interview zur DDR aus dem Sommer rechtfertigen. Der Partei steht eine neue Geschichtsdebatte ins Haus – nicht nur weil Wahl- und Gedenkjahr ist.
Der zum »Reformerflügel« gehörende Politiker bietet aber auch Reibungsflächen – nicht zuletzt durch seinen kritischen Blick auf die DDR. Faksi: stern
Der zum »Reformerflügel« gehörende Politiker bietet aber auch Reibungsflächen – nicht zuletzt durch seinen kritischen Blick auf die DDR. Faksi: stern

Nein, er hat niemandes Leben in den Schmutz ziehen wollen. Das Interview war einfach zu kurz, um zu differenzieren. Helmut Holter holt weit aus an diesem Abend. Er erzählt von seiner sozialistischen Erziehung, von dem tiefen Eindruck, den KZ-Zeitzeugen auf ihn machten, von seinem Studium in Moskau und von der anschließenden Parteikarriere. Er schildert die Zweifel, die ihn bei seinem zweiten Moskauaufenthalt befielen, als er die Perestroika mitbekam. Von seinem Verzweifeln an der »Verstocktheit« der SED nach der Rückkehr 1987. Er spricht über die Stalinisierung der SED, die Verfolgung von Andersdenkenden, die »undemokratische« Verfassung von 1961, die Mauer und ihre Toten. Er spricht aber auch über das Bildungs- und Gesundheitssystem, über den relativ hohen Lebensstandard bei schlechten Startbedingungen. Er sagt, dass die DDR »zu Recht bestanden« habe.

Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass Helmut Holter, Fraktionsvize im Nordosten und Ex-Arbeitsminister, dem »Stern« ein Interview gegeben hat. Das »SED-Regime«, hatte er gesagt, sei gekennzeichnet gewesen von »Terror, Mord und Repression«. Seither muss sich Holter verteidigen. An diesem Abend ist er ins Hotel »Fritz« gekommen, wo sich die LINKE Schwerin-Krebsförden trifft. Gleich zu Anfang stellt der 33-jährige Stadtteilchef fest, das Interview sei eine »unzulässige Pauschalisierung«. Man stehe hinter dem Parteitagsbeschluss vom Oktober, demzufolge sich die Landespartei »auch im Jahr 2009 offensiv und differenziert mit der Geschichte« auseinandersetze – wobei »Versuche, die Lebensleistungen von Millionen Ostdeutschen (...) zu diffamieren, (…) entschieden« zurückgewiesen werden.

Gekommen sind 14 Mitglieder, die Älteren in der knapp doppelt so großen Ortsgruppe. Sie haben sich vorbereitet. Der erste Redner wirft Holter vor, er stelle sich in eine Linie mit »Kinkel, Gauck und Knabe«. Er kann nicht verstehen, dass Holter dies »ohne Not« gesagt habe und empfiehlt, es wie die CDU zu machen, die für die ganze Aufarbeiterei »eine halbe Stunde gebraucht« habe. Der Mann redet sich in Rage. »Ich arbeite nichts mehr auf!«, ruft er und mündet in eine Suada über das »verrottete Kapitalsystem«. Die Birthler-Behörde solle in eine Behörde zur Aufarbeitung der Finanzkrise umgewandelt werden.

»Schlaflose Nächte«

Dann ist eine Frau an der Reihe. Sie erzählt von den »schlaflosen Nächten«, die ihr das Interview bereitet hätte: »Terror, Mord, Repression – es wird uns eingeredet, bis wir daran glauben«. Sie ärgert, »dass wir uns mit uns selbst beschäftigen«. Schließlich habe man »schon so viel aufgearbeitet«, eine weitere Debatte sei »schädlich für den Wahlkampf«.

Der nächste Genosse sieht »Probleme«. Aber man könne doch nicht einem »Hetzblatt gegen den Sozialismus« ein solches Interview geben. Dann ist ein jüngerer Mann an der Reihe, Absolvent der Parteihochschule. Er endet mit der Feststellung, Demokratie heiße, »dass die objektiven Interessen der Mehrheit durchgesetzt werden«, auch gegen »Feinde«. Später spricht noch ein Herr mit sächsischem Akzent. Er erinnert an die Situation, den Sozialismus in einem braunen Land aufzubauen. Da sei Härte vonnöten gewesen. Die Perestroika habe »den Sozialismus an die Wand gefahren«. Es habe eine »Überbetonung des Zentralismus« gegeben – aber wie hätte »ein so gewaltiger Apparat« sonst funktioniert?

»Fehler und Verbrechen«

Holter ist das gewohnt. Es ist der 18. oder 20. Termin seit dem Interview, dazu kommen Partei-Keile. Die Kommunistische Plattform, spricht Holter jedes Interesse an der Sache ab. Er wolle »noch einmal Minister werden, anscheinend um jeden Preis«. Aus dem Protokoll einer Veranstaltung mit Hans Modrow weht es kalt. »Scharf und prinzipiell« habe dieser Holter zurechtgewiesen. Niemand sei jemals wegen Mordes verurteilt worden. Es gibt eine Stellungnahme der Antikapitalistischen Linken, nach der sich Holter abseits positioniere: »Wir kennen keine PDS, die sich (…) dazu verständigt hätte, dass die DDR von einem SED-Regime gekennzeichnet war, dessen Wesen Terror, Mord, Repression ausgemacht hätte.«

Ganz richtig ist das nicht. Schon bei der Historischen Kommission der PDS ist zwar nicht von »Terror« die Rede, aber von »schikanöser Behandlung« ganzer Bevölkerungsgruppen, von »fortwährender Verweigerung politischer Grundrechte«. Die Parteihistoriker erkennen, dass »Repressalien« keine Einzelfälle waren, sondern zum System gehörten, sprechen von »Hunderten«, die an der Grenze »den Tod fanden«. Es geht ihnen nicht nur um »Fehler«, sondern um »Verbrechen«.

Was ist der »Stalinismus«, von dem man sich wohlfeil distanzieren kann? Eine Epoche? Eine Methode, eine Haltung? Die schärfste Selbstkritik stammt aus den letzten Tagen der SED. In seinem Referat auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 nannte Michael Schumann den »Sozialismus in den Farben der DDR«, mit dem Honecker der Perestroika trotzte, einen »Stalinismus in den Farben der DDR«. Demnach müsste der »unwiderrufliche Bruch mit dem Stalinismus« einen weitgehenden Bruch mit der SED bedeuten.

Vom »Und« und »Aber«

Zwanzig Jahre später ist die Trennschärfe geringer. »Bloß keine Fehlerdiskussion« war vielerorts das Motto; im Kampf gegen den Neoliberalismus und unter sozialer Stigmatisierung sind die Ost-Genossen zusammengerückt. Es geht nicht nur um historische Wahrheit. Es geht um das Selbstbild, um Identität, den Sinn des eigenen Lebens. Ein Dokument dessen ist ein Bericht über eine weitere Holter-Diskussion in der Parteizeitung für Rostock und Bad Doberan: Dort wird berichtet, was Holter über »Rose« und »Ungeziefer« sagte, die großen Enteignungsaktionen im Grenzgebiet. Doch schon im nächsten Satz heißt es: »Aber auch in der BRD war nicht alles Gold, was glänzte…«. Ohne »aber« und »auch« scheint es nicht zu gehen. Der Mensch neigt nun mal zum Aufrechnen.

Diese Haltung ist es, die Holter gegen den Strich geht. »Wir müssen den eigenen Stall aufräumen, bevor wir über andere sprechen«, gibt er den Krebsfördener Genossen mit. Die Partei wird diese Diskussion ohnehin nicht vermeiden können. Nicht nur, weil 2009 ein Supergedenk- mit einem Superwahljahr zusammenfällt und der erstarkten LINKEN entsprechende

Stöckchen hingehalten werden. Sondern auch, weil die Westerweiterung ein breites Spektrum an Geschichtsbildern in die Partei getragen hat. Da mag es frühere DKP-Leute geben, die schon den »Stalinismus«-Opferstein in Alt-Friedrichsfelde für Frevel halten. Sie müssen sich aber mit Ex-Trotzkisten wie der Hessin Janine Wissler vertragen, für die die DDR »das Gegenteil« einer freien Gesellschaft ist. Dazu kommen Ex-Sozialdemokraten und Ex-Grüne.

Die Debatte könnte entspannter angegangen werden als früher – kaum noch jemand bezweiflt, dass die DDR gute Seiten hatte. Sozialdemokraten finden Positives am Bildungssystem, das die Klassenschranken nivellierte. Bis in die CDU hinein wird die Krippenversorgung gelobt – und »Schwester Agnes« feiert fröhliche Urständ’.

Entspannt hat sich die Stimmung auch in Krebsförden. Gegen Ende bedauert Holter seine Wortwahl: »Terror« sei ja heute anders konnotiert; er hätte ein »auch« vor die drei Worte setzen müssen. Er werde das so nicht wieder sagen. Die Gesellschaft könnte jetzt einvernehmlich auseinandergehen – wenn nicht einer der Herren an den Selbstschussanlagen zu zweifeln begänne. »Soll ich dir den vorstellen, der sie montiert hat?«, gibt Holter zurück. Es ist das einzige Mal, dass er laut wird.

Helmut Holter führte die PDS nur neun Jahre nach der Wende vom Katzentisch auf die Regierungsbank und war acht Jahre Arbeitsminister im Nordosten.
Helmut Holter führte die PDS nur neun Jahre nach der Wende vom Katzentisch auf die Regierungsbank und war acht Jahre Arbeitsminister im Nordosten.
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