Schuld und Sühne

Im Wettbewerb: »Katalin Varga« von Peter Strickland

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
Katalin (Hilda Pèter)
Katalin (Hilda Pèter)

Was ist Schuld? Eine Verstrickung, aus der man nicht herauskommt. Das ist der mythisch-schwebende Grundton dieses ungewöhnlichen Films des Engländers Peter Strickland, Musiker und bislang Schöpfer einiger Kurzfilme, der hier die Symbiose mit einer ungarisch-rumänischen Co-Produktion wagte. Ein geglücktes Unterfangen. Dieser eindringlich-stille Film verwandelt seine schroffen Gegensätze in eine Geschichte, deren Intelligenz in der Poesie liegt. Elegisch fließen die Bilder dieser Reise durch die Karpaten, die eine Reise zu einer unlebbaren Wahrheit wird. Das Grün der Wälder dunkelt sich ein zur Drohung: Wie löst man den Knoten, der das eigene Leben mit Geschehnissen verbindet, die einen wie blinde Gewalt trafen?

Katalin (von einer Sinnlichkeit, die sich selbst schuldig vorkommt: Hilda Pèter) ist vor elf Jahren als Anhalterin vergewaltigt worden. Sie bekam ein Kind. Erst jetzt erfährt ihr Mann, dass er nicht der Vater des Jungen ist. Mehr hat man ihm nicht zugetragen. Seine Frau ist also eine Hure, die ihn im Dorf lächerlich gemacht hat! Die Kränkung bringt ihn dazu, Frau und Sohn zu verstoßen. Doch die Wahrheit ist nie so einfach wie eine spontane Schuldzuweisung, die einen selbst zum Richter über andere einsetzt. Für Erklärungen ist der Zeitpunkt verpasst. Das Schweigen hat die erlebte Gewalt eben nicht ungeschehen und auch nicht vergessen machen können.

Katalin und ihr Sohn verlassen mit einem Pferdefuhrwerk das Dorf – sie hat jetzt ein Ziel: Rache an den beiden Männern, die ihr das angetan haben. Nun weitet sich die Reise zur philosophischen Versuchsanordnung über Schuld und Sühne, Opfer und Täter, Wahrheit und Zeit, die einiges vergessen macht aber anderes auch nicht. Das Ungelöste der Vergangenheit wird immer drängender. Doch was kann sie tun nach so langer Zeit? Ihren Sohn, der aus dem Verbrechen entstand, liebt sie. Nie soll er die wahren Umstände seiner Zeugung erfahren. Und doch ist sie auf dem Weg, den Täter, den leiblichen Vater ihres Kindes, zu richten. Es wird labyrinthisch und wie Peter Strickland hier hindurch findet, ohne den mythischen Schuldzusammenhang aufzuheben, das ist von einer beachtlichen Poesie der Vergeblichkeit. Man kann die Schuld der Vergangenheit eben nicht durch Rache aus der Welt bringen. So zeugt sie sich immer nur fort.

Doch wie jemandem vergeben, der sich nicht einmal mehr an die Tat, bei der er lachend dabeistand, erinnert? So wird sie selbst schuldig, als sie den einen der beiden Männer tötet. An dem anderen versagt ihr Vergeltungstrieb. Ist dieser Mann, der glücklich verheiratet scheint, der aufmerksam, zärtlich, rücksichtsvoll zu seiner Frau ist, noch derselbe, der sie damals im Wald brutal vergewaltigte? Ihr Sohn – der auch sein Sohn ist – befreundet sich sofort mit diesem Mann, dessen Ehe kinderlos blieb und auch seine Frau nimmt die beiden Durchreisenden mit aller Herzlichkeit als Gäste auf.

Katalin ist irritiert, aber dann bricht sich die Schuld- und Vergeltungslogik bereits ganz andere Bahnen. Und wieder werden die Schwächsten zu Opfern – zuletzt auch sie selbst.

Dies ist ein Film, der keine Antworten gibt, aber der zeigt, dass Handlungen Folgen haben, die längst vergangenen ebenso wie die gegenwärtigen. Und dass das gute Gewissen der rächenden Tat immer nur von kurzer Dauer ist. Vergebung lautet das Thema, das hier durch seine Abwesenheit provoziert. Aber wer soll wie damit beginnen, wenn doch die Wahrheit ein Tabu ist?

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