Auferstehung der Nestbeschmutzer

Die »Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten« formiert sich neu – trotz aller Hindernisse

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.
In den Achzigern und Neunzigern machten die »Kritischen Polizisten« Furore. Sie kritisierten die Polizeipraxis, forderten die Abschaffung der Geheimdienste und deckten einen Rassismusskandal bei der Hamburger Polizei auf. Dann wurde ihr Sprecher Thomas Wüppesahl in einem fragwürdigen Prozess wegen eines geplanten Raubmordes inhaftiert. Jetzt kämpft er um seine Rehabilitierung – und will die Arbeit wieder aufnehmen.

Thomas Wüppesahls Leben gleicht einem Agentenroman. Es führte ihn aus der Hamburger Polizei in die Bewegungen der achtziger Jahre, in den Bundestag, zurück zur Polizei, immer wieder vor Gericht – und zuletzt für Jahre hinter Gitter. Dennoch denkt der Mann, der E-Mails mit »Euer Lieblingsbulle, Euer Lieblingsknacki« unterzeichnet, nicht ans Resignieren. Er will dort weitermachen, wo er vor 20 Jahren begonnen hat. Die »Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten«, von Wüppesahl und anderen 1986 gegründet und vor einigen Jahren verstummt, soll wieder erwachen. Am 21. Februar wird es in Hamburg eine Mitgliederversammlung geben, die erste seit vielen Jahren.

Corpsgeist, Feindbilder, Manipulationen, Mobbing – alles, was Wüppesahl an der Polizei kritisiert, hat er selbst erlebt. Die Geschichte der »Kritischen« beginnt 1986, als die Hamburger Polizei – kurz nach Tschernobyl – hunderte Demonstranten stundenlang einkesselt. Wüppesahl, Studentensprecher der Polizei-Fachhochschule, veröffentlicht ein Kritikpapier. Von da an geht es wie von selbst: Der Gründungsaufruf findet ein bundesweites Medieninteresse, Politprominente wie Hans-Christian Ströbele unterstützen die Gruppe, 1987 konstituiert sie sich bundesweit. Manfred Mahr und Manfred Such werden die ersten Sprecher. Thomas Wüppesahl aber zieht für die Grünen in den Bundestag ein.

Anfangs sieht es so aus, als würde die Gruppe schnell Anerkennung finden. 1988 erhält sie den »Gustav-Heinemann-Bürgerpreis« der SPD für gelebte Zivilcourage, Suchs Buch »Bürger statt Bullen« stößt auf großes Interesse. Doch zeigt sich auch schnell, dass der Apparat zurückzuschlagen bereit ist. Gegen Such und andere Exponenten laufen bald Dutzende von Ermittlungs- und Disziplinarverfahren, sie können ihrem Beruf kaum noch nachgehen.

Auch Wüppesahl bekommt das zu spüren, als er 1991 zur Polizei zurückkehrt. Kurz darauf stellen die Behörden seine psychische Dienstfähigkeit in Frage. Aufgrund seiner Bekanntheit kann Wüppesahl die Attacke abwehren, aber sie ist ein Vorgeschmack auf Kommendes. Immer wieder muss er sich vor Gericht zerren lassen, insgesamt werden 43 Verfahren gegen ihn angestrengt. Mal werden vermeintliche Verkehrsdelikte zu großen Prozessen aufgeblasen, mal soll er Akten entwendet haben, dann folgt der nächste Versuch, den Kritiker zum Geisteskranken zu erklären. Stets behält Wüppesahl die Oberhand.

Spektakuläre Enthüllungen

Doch lassen sich die »Kritischen« nicht einschüchtern. In den Neunzigern kritisieren sie nicht nur die Polizei, sondern mobilisieren zu den Demonstrationen, die diese bewacht – etwa gegen die Castoren im Wendland. Sie fordern die Auflösung der Geheimdienste und die Abschaffung des Terrorismus-Paragraphen 129a. Ihr spektakulärster Coup ist 1994 die Aufdeckung des Hamburger Polizeiskandals. Durch rassistische Polizisten kam es immer wieder zu Übergriffen. Innensenator Werner Hackmann muss zurücktreten, ein Untersuchungsausschuss folgt. Ein Staatsanwalt sagt später, die Beamten hätten sich abgesprochen wie im »organisierten Verbrechen«.

Die »Kritischen« haben nie mehr als 120 Mitglieder. Dennoch ist die Gruppe einflussreich. Der Niedergang beginnt 1998 mit dem Wahlsieg von Rot-Grün: Hoffnungen auf Reformen wie eine Kennzeichnung der Beamten platzen. Dann geht mit Manfred Mahr ein prominentes Gründungsmitglied im Streit. Seit 1993 sitzt er für die Hamburger GAL, die Plätze für »soziale Bewegungen« reserviert hatte, in der Bürgerschaft. In der Opposition klappt die Zusammenarbeit mit den »Kritischen«. Doch in der rot-grünen Bürgerschaft ab 1997 macht Mahr Kompromisse, zu viele für Wüppesahl. Er trägt etwa den Brechmitteleinsatz gegen »Dealer« mit. »Manfred hat den Spagat nicht mehr ausgehalten«, sagt Wüppesahl.

Insolvenz und Mordkomplott

Als erste Berufsorganisation thematisieren die »Kritischen« systematisch das Thema »Mobbing« – und stoßen damit eine breite Diskussion an. Wüppesahl tourt als Experte durch die Talkshows. Dennoch stellen Mahr und andere im Jahr 2000 einen Auflösungsantrag, dabei sind die »Kritischen« gerade dabei, einen neuen Anlauf zu nehmen. Eine internationale Konferenz in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung ist in Planung.

2001 kommt der nächste Schlag: Wüppesahl, seit 1998 Bundessprecher, muss einen Insolvenzantrag stellen. Der Grund ist Bianca Müller, eine transsexuelle Polizistin aus Berlin, die kurz nach ihrem Eintritt bereits Ko-Sprecherin wird. Sie trägt den Konflikt mit ihren Mobbern als Sprecherin der »Kritischen« aus, unter anderem gegen Berlins Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky. Müller, die sich später das Leben nimmt, verliert. Die Kosten treiben den Verein nahe an den Untergang. Wüppesahl schließlich zahlt selbst 6000 DM und erreicht, dass der Verein 2004 wieder für solvent erklärt wird.

In jenem Herbst versucht er einen Neustart. Doch weit kommt er nicht: Plötzlich klicken Handschellen. Angeklagt und schließlich zu viereinhalb Jahren verurteilt wird Wüppesahl wegen eines bizarren Raubmordplanes: Er habe mit einem ehemaligen Kollegen einen Geldboten erschießen und ihm die Hand abhacken wollen, an die der Geldkoffer gekettet sein würde. Wüppesahl erklärt die Sache so: Er habe den Verdacht gehabt, dass der vermeintliche Komplize, ein früherer Mitstreiter, gegen ihn arbeite. Zum Schein habe er in den »undurchführbaren Plan« eingewilligt, um diesen zu entlarven, »das ist dann ja gelungen, nur ganz anders als gehofft«. Die Treffen werden mitgeschnitten. Selbst etablierte Zeitungen äußern Zweifel, doch das Hamburger Landgericht, zuvor schon durch ein später kassiertes Bewährungsurteil gegen Wüppesahl aufgefallen, spricht ihn schuldig. Die »Kritischen« sind nun wirklich mundtot, Wüppesahl sitzt drei Jahre ab. Dann entlässt ihn das Berliner Landgericht; nicht einmal ein Bewährungshelfer wird angeordnet. »Offenbar haben sie die Geschichte nicht geglaubt.«

Mit dem Urteil sei er für immer verbrannt, schrieb die Presse damals. Derzeit macht »Ex-Bulle« Wüppesahl die Probe auf's Exempel. Es habe einen »überraschenden Rücklauf« auf seinen Aufruf gegeben, sagt er. Dennoch kämpft der heute 53-Jährige um seine Rehabilitierung und schreibt Bücher über seinen Fall. Themen gibt es jedenfalls genug: Die Vermengung von Polizei und anderen Diensten, die Tendenz zur Präventivbestrafung – Wüppesahl hört gar nicht mehr auf, zu referieren.

Versammlung: 21. 2., 13 Uhr, Seewartenstraße 10, HH-St.Pauli

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