• 7. ND-Lesergeschichten-Wettbewerb

Schöne Jahre mit unserem kleinen Stinker

  • Gabriele und Lothar Stanzel, 14612 Falkensee
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Jahr 1989 begann für meinen Mann und mich mit der erfreulichen Nachricht, dass wir im letzten Quartal des Jahres mit der Lieferung unseres Autos, der Marke Trabant, zu rechnen hätten. Diese Mitteilung kam nach 14 Jahren des Wartens nicht gerade vollkommen überraschend, dennoch fehlte uns ein beträchtlicher Teil der Kaufsumme. Was also tun? Unser oft belächelter, uns dennoch 14 Jahre lang stets treulich dienender »Saporoshez« sollte zum Verkauf herhalten. Man kann sich vorstellen, dass der Preis, den wir für dieses alte Auto erhielten, unerheblich war.

Da diese kleine Finanzspritze nicht ausreichte, musste eine wirkliche Lösung her. In unserem Besitz befand sich ein Garten, den wir nicht nutzten. Ihn wollten wir verkaufen. Wir gaben eine Anzeige in einer bekannten Tageszeitung auf. Innerhalb kürzester Zeit erhielten wir knapp achtzig Zuschriften. Es wurden die seltsamsten Gebote unterbreitet. An eines können wir uns noch sehr gut erinnern, war es doch das spektakulärste. Da bot uns tatsächlich jemand für unsere 1000 Quadratmeter naturbelassenes Gartenland mehrere tausend DM (richtige Westmark) an sowie ein Segelboot nebst Bootshaus und Steg am Müritz-See.

Verkauft haben wir schließlich nicht an diesen Bieter. Wir waren seinerzeit der Ansicht, dass jemand, der so viel Geld und Möglichkeiten hat, sich überall und jederzeit einen Garten zulegen kann. Unseren Garten verkauften wir einem Ehepaar, das, wie wir später erfuhren, nur mit Hilfe der gesamten Familie den Kaufpreis zusammenbekam. Sie war Köchin und er Hausmeister. Unsere Entscheidung erschien uns damals gerecht und sozial. Ein Jahr später hätten wir diesen Garten für das Zehnfache und noch dazu in Westgeld verkaufen können.

Unseren Trabi erhielten wir im September und bezahlten ihn mit dem Geld, das wir aus den beiden Verkäufen besaßen. Dass er wenig später nur noch Peanuts wert sein würde, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Dennoch haben wir Schönes mit unserem kleinen Stinker erlebt. Es begann damit, dass wir uns mit ihm nach Maueröffnung über die Staakener Grenze nach Westberlin wagten, um den Bruder zu besuchen. Das Wiedersehen war, wie damals bei den meisten Familien, die so eine lange Zeit getrennt voneinander gelebt hatten, herzlich und ein bisschen überschwänglich. Wie oft hatten wir uns gewünscht, Sonntagnachmittag mal zum Kaffeetrinken rüberzufahren. Einfach so und danach wieder zurück. Sie lebten ja nicht weit von uns, zehn Minuten mit dem Auto, und wir wären bei ihnen gewesen. Inzwischen ist die Normalität eingetreten. Aber es ist immer noch schön, dass man jederzeit zu ihnen fahren kann auf einen kleinen Plausch und eine Tasse Kaffee.

Im Jahr darauf besaßen wir unseren Trabi immer noch und fuhren damit sogar bis nach Wien. Im Frühjahr 1990 hatte die Sektion Turnen unserer Sportgemeinschaft das Halbfinale der Jugendeuropameisterschaft im Gerätturnen ausgerichtet. Bei dieser Gelegenheit freundeten wir uns mit den Österreichern an, die uns zu einem Gegenbesuch einluden. Wie bald es dazu kommen würde, ahnten wir im Traum nicht. Nun reisten wir also gemeinsam mit unserer Tochter, die sich während des Fahrens auf der hinteren Sitzbank schlafend zusammenrollte, über die CSSR nach Wien. Mit Stopp an der tschechisch-österreichischen Grenze, denn wir wussten nicht, wie nah wir unserem Reiseziel bereits gekommen waren. So verbrachten wir die Nacht im tschechischen Hotel. Anderntags zeigte es sich, dass es nur noch ein Katzensprung bis zu unserem Ziel gewesen ist und wir mussten herzlich lachen. Die Adresse fanden wir Dank gründlicher Beschreibung sehr schnell.

Als wir aus unserem Auto kletterten, erblickten wir keine zehn Meter entfernt einen weiteren Trabi, aber mit ungarischem Kennzeichen. Na bitte, die Trabis fuhren einfach überall. Wir verbrachten wunderbare Tage in Wien. Die anschließende Heimreise gestaltete sich ganz normal, so dass sogar noch etwas Zeit für unser geliebtes Prag blieb, dem wir bei dieser Gelegenheit auch noch zwei Tage widmeten.

Der Trabant blieb noch weitere drei Jahre unser Familienmitglied, bevor wir uns zu seinem Verkauf und zum Kauf eines neuen Autos entschlossen. Dabei leistete er uns einen letzten Freundschaftsdienst. Er war inzwischen in seinem Ansehen wieder gestiegen und zu einem Liebhaberstück avanciert, weshalb wir auch einen entsprechenden Geldwert für ihn erzielten.

Noch etwas Wunderbares brachte die Zeit 1989/90 für uns: Aus dem einstigen lockeren Kontakt zur damaligen österreichischen Jugendmeisterin im Gerätturnen und ihrer Familie entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, die bis in die heutigen Tage hält.
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