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Bartoszewski und die Logik

Eine Reise nach Berlin und der neuerliche Streit um Erika Steinbach

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
An der Weichsel ist es wieder einmal laut geworden um Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, die vom BdV für den Stiftungsrat des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen nominiert wurde.

Wladyslaw Bartoszewski, Berater von Ministerpräsident Donald Tusk insbesondere in polnisch-deutschen Fragen, hatte am Montag in Berlin ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geführt, um einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Warschau und Berlin vorzubeugen. Details wollte Bartoszewski in einem Interview für das Springerblatt »Dziennik« nicht mitteilen. Nur dem Regierungschef habe er Bericht erstattet. Doch hatte Bartoszewski die polnische Öffentlichkeit schon am vergangenen Wochenende wissen lassen, worum es ging: Sollte es zu einer Mitgliedschaft der BdV-Vorsitzenden im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen kommen, hätte dies für die polnisch-deutschen Beziehungen negative Folgen. Wichtige gemeinsam geplante Veranstaltungen zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 könnten eventuell abgesagt werden. Das Klima in den Beziehungen würde kühler werden.

In dem »Dziennik«-Interview versicherte Bartoszewski, die ihm seit über zehn Jahren sehr gut bekannte Frau Bundeskanzlerin hätte ihm zu verstehen gegeben, dass ihr sehr daran liege, gute Beziehungen mit Polen zu pflegen. Wenn man sich so lange kenne, wisse man gut, ob Wahrheit gesprochen oder Heu gedroschen werde. Musste sich der 87-jährige Politiker erst nach Berlin bemühen, um dies zu erfahren?

Bereits am Montag stand in deutschen Zeitungen zu lesen, dass die Bundesregierung keine Eile hat, besagten Stiftungsrat zu berufen. Ein Sprecher der Regierung bestätigte dies am Mittwoch. Gesine Schwan, die Kandidatin der SPD für das Bundespräsidentenamt, gab ihrer Überzeugung Ausdruck, dass man in Deutschland die Nominierung der BdV-Chefin verhindern werde. Frau Steinbach selbst allerdings, von ihrem Verband für den Stiftungsrat vorgeschlagen, lehnte einen Verzicht auf ihre Nominierung ab und bezeichnete den Protest aus Polen als »Erpressung«.

Bartoszewski hat gewiss seine Verdienste um das demokratische Polen. Erst in den letzten Tagen wurde er in einer Umfrage als Persönlichkeit mit hoher Autorität gewürdigt. Vor diesem Hintergrund mag es ND-Lesern seltsam erscheinen, dass ihr Polenkorrespondent die Abneigung dieses Mannes gegen die »blonde Bestie«, wie er Erika Steinbach voriges Jahr bezeichnete, unverständlich findet. Sie ist immerhin die demokratisch gewählte Vertreterin von etwa 2 Millionen BdV-Mitgliedern, ihre ablehnende Haltung zur Anerkennung der polnischen Westgrenze hat sie als Fehler bereut, und der BdV distanziert sich von den Ansprüchen der »Preußischen Treuhand«. Das wichtigste Argument aber: Gibt es denn in Deutschland nichts Gefährlicheres als Frau Steinbach in besagtem Stiftungsrat? Zum Beispiel die zunehmenden Aktivitäten der Neonazis!

In der linken Monatsschrift »Dzis«, die nach dem Tode ihres Chefredakteurs Mieczyslaw F. Rakowski leider eingegangen ist, schrieben der linke Publizist Eugeniusz Guz und der Autor dieses Textes, die »Diplomatie von Grimassen und Mucken« – wie sie Bartoszewski präsentiert – entbehre jeder Logik, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der verdienstvolle Historiker in einem »Zeitgespräch« einst über seine Freundschaft mit Herbert Czaja plauderte – jenem CDU-Abgeordneten, dem ein Deutschland in den Grenzen von 1937 noch zu klein war und der in seinen Publikationen wie in Gesprächen die Grenzen von 1914 im Auge behielt.

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