»Macht euern Dreck alleene!«

Das wenig ruhmreiche Ende der Monarchie in Deutschland – Als die gekrönten Häupter aus der Geschichte fielen

  • Peter Brandt
  • Lesedauer: 4 Min.
Sachsens letzter König, so die Legende, überließ 1918 vergnatzt seinen Untertanen den »Dreck«
Sachsens letzter König, so die Legende, überließ 1918 vergnatzt seinen Untertanen den »Dreck«

Obwohl die deutsche Revolution von 1918/19 zu den relativ gut erforschten Themen der Geschichtswissenschaft gehört, gab es bislang keine zusammenfassende Untersuchung des an ihrem Anfang stehenden Sturzes des Deutschen Kaisers Wilhelm II. sowie der mit ihm »verbündeten« Fürsten des Reiches. Neben dem Kaiser, der zuvor König von Preußen war, gab es noch drei andere Könige – von Bayern, Württemberg und Sachsen – sowie fünf Großherzöge und neun Duodezherrscher.

Dieses aus dem Feudal-Absolutismus übrig gebliebene Sammelsurium war in der Tat etwas spezifisch Deutsches. Obgleich eine monarchische Spitze im europäischen Verfassungsstaat des 19. und frühen 20. Jahrhunderts durchaus der Regel entsprach. Das 1867/71 unter Federführung von Bismarck, aber doch als Resultat des Ringens großpreußisch-monarchischer und liberal-nationaler, bürgerlicher Kräfte zustandegekommene Deutsche Reich verfügte mit dem allgemeinen gleichen Männerwahlrecht für den Reichstag über ein relativ fortschrittliches Element. Auf Landtagsebene galten für Preußen und andere Gliedstaaten bis 1918 allerdings noch ungleiche Wahlrechte. Die Bedeutung des Reichstags im politischen System nahm ab 1890 zu, die des Bundesrats hingegen ab. Die ministerielle Exekutive blieb im Reich wie in den Ländern allein den fürstlichen Staatsoberhäuptern verantwortlich. Die Parlamentarisierung der Regierungsweise gelang erst angesichts der Kriegsniederlage im Oktober 1918. Die Obersten Heeresleitung versuchte, mit der Mitte-Links-Reichstagsmehrheit die Revolution zu verhindern. Was bekanntlich nicht gelang.

Das höchst anschaulich und in überzeugender Argumentation geschriebene Buch des Bremer Historikers Lothar Machtan handelt vom Niedergang der letzten gekrönten Häupter Deutschlands. Er beschreibt und analysiert den Zustand der Monarchie am Vorabend sowie deren Desavouierung während des Ersten Weltkrieges. Dem folgt die Schilderung des schon tragi-komischen Verfalls der monarchischen Macht auf Reichsebene im Spätsommer und Frühherbst 1918. Sodann werden die Umsturz-Szenarien in den Einzelfürstentümern während der Novembertage nachgezeichnet.

Machtan unterstreicht am Ende seines Werkes zu Recht, dass die Ablösung der Monarchie in Deutschland nicht zwangsläufig vorherbestimmt war. Man denke an Schweden. Dort schafften die Herrscher unter dem Druck einer hartnäckigen Demokratisierungsbewegung den Übergang in eine Art Bürgerkönigtum. Doch mit dem völlig anachronistischen, am Gottesgnadentum festhaltenden Selbstverständnis, das den deutschen Fürsten mehr oder weniger (und dem Kaiser in besonderem Maße) zu eigen war, gelang ihnen der Anschluss an die Notwenigkeiten der um das Jahr 1900 Konturen annehmenden Massengesellschaft nicht. Das hatte auch etwas mit ihrer weitgehenden Abgehobenheit von der bürgerlichen Welt und dem modernen Nationalstaat zu tun. Der Erste Weltkrieg deckte die militärische und politische Überflüssigkeit der obersten Adelsschicht Deutschlands auf.

Nicht nur der kaum noch zurechnungsfähige Kaiser, sondern die »regierenden« Fürsten insgesamt, die nach der Bismarckschen Verfassung eigentlich gemeinsam die Souveränität im Reich innehatten, erwiesen sich als unfähig, die drohende Katastrophe zu erkennen und politisch initiativ zu werden. Auch der bis zum Schluss relativ populäre König von Sachsen, der schrullige Friedrich August, der liberale Wilhelm von Württemberg sowie der Großherzog von Hessen-Darmstadt, der joviale Ästhet Ernst Ludwig, unterschieden sich diesbezüglich nur graduell von ihren Standesgenossen.

Die intellektuellen und charakterlichen Schwächen der dazumal »Edelsten« und »Besten« wären in einigermaßen ruhigen Zeiten wohl erfolgreich verschleiert worden. In einer Zeit des Mangels, der sozialen Not breiter Volksschichten bei gleichzeitiger enormer nationaler Anspannung im Krieg blickte die Öffentlichkeit jedoch zunehmend kritischer auf persönliche Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen der Herrscher und ihrer Familien.

Die vorliegende Arbeit macht deutlich, wie weit die Erosion des monarchischen Regimes in Deutschland schon gediehen war- Sie offenbart, wie weit der Ansehensverlust die Institution und die meisten ihrer Träger von der Bevölkerung isoliert hatte, so dass die aufständischen Soldaten und Arbeiter in der ersten Novemberhälfte 1918 der Monarchie nur den letzten Stoß versetzen mussten. Machtan plädiert dafür, die deutschen Fürsten auch und vor allem als »Akteure ihres Machtverlusts (zu) sehen – ganz persönlich involviert durch Versäumnisse, Verfehlungen, Versagen«. Aus dieser Perspektive stellt sich das Ende der Monarchie somit beinahe als eine »Selbstentkrönung« dar.

Die von den neuen, republikanischen Machthabern in einer Mischung aus politischem Kalkül und überkommener Ehrfurcht bewiesene Großzügigkeit bei der Gewährleistung der persönlichen Sicherheit und der finanziellen Versorgung der abgesetzten Herrscherfamilien wurden von diesen teils dankbar, teils undankbar angenommen. Das in dem Buch nicht mehr behandelte Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten führte im Frühjahr/Sommer 1926 zu einer der größten Mobilisierungen der »sozial-republikanisch« orientierten Volksmassen in der Zeit der Weimarer Republik, die einem verbreiteten Klischee eine »Republik ohne Republikaner« war. Zwar scheiterte der Volksentscheid. Aber angesichts der Gegnerschaft fast des gesamten bürgerlichen Spektrums und entsprechender Boykott-Aufrufe waren die 14,5 Millionen Ja-Stimmen doch ein beachtliches Signal.

Auch die Vertreter der bürgerlichen Politik standen der Monarchie als Staatsordnung und den früheren Herrschern inzwischen distanziert bis ablehnend gegenüber. Sogar bei den Rechtskonservativen verlor die monarchische Idee sukzessive, ungeachtet personeller Kontinuitäten, an Bedeutung. Die Gegner der Demokratie waren jetzt von ganz anderem Kaliber.

Lothar Machtan: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen. Propyläen Verlag, 2008. 428 S., geb., 24,90 EUR.

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