nd-aktuell.de / 21.02.2009 / Sport / Seite 11

Meckern ist Trumpf

Thomas Wieczorek

Dass ihre Mannschaft an der Spitze steht, ist für den waschechten Berliner Hertha-Fan noch lange kein Grund, ein gutes Haar an der »Gurkentruppe« zu lassen. Dass jahrelang tatsächlich kein Anlass zu übermäßigem Jubeltaumel bestand, ist allerdings nicht der wahre Grund des permanent penetranten Pessimismus – der nämlich liegt in den Berliner Genen.

Nicht umsonst lautet das höchste einem Berliner Munde zu entlockende Kompliment: »Da jibt's nischt zu meckern.« Soweit aber ist die blau-weiße Hertha noch lange nicht, und so kann man in den letzten Wochen auf den Rängen ebenso wie in den Fußballkneipen dasselbe Ritual bewundern: Über die eigene Mannschaft wird gestöhnt, gelästert und eben »gemeckert«, was das Zeug hält – bis plötzlich der Ball im Tor ist, und zwar beim Gegner, ob er nun Hoffenheim oder Bayern München heißt. Dann allerdings wird gejubelt, dass die Bude wackelt. Im Stadion muss man um sein Gleichgewicht, in der Fernsehkneipe um die Unversehrtheit seines Bierglases fürchten.

Dieser Beifallsanfall legt sich aber sofort wieder mit dem Anstoß des Gegners; nun ist wieder allgemeines Unken angesagt. »So viel Dusel gibt's ja gar nicht«, ist der Tenor »ditt jeht nicht lange jut!« Wenn dann Abpfiff ist und wieder drei Punkte im Sack sind, wird erneut gejubelt – verschämt und gleichzeitig ohrenbetäubend, wie es nur der Berliner kann.

Seltsamerweise aber werden mit jedem »glücklichen Sieg« die Stadionränge und die Fußballkneipen immer voller: Man will sich schließlich selbst vom schwachen Spiel der Herthaner überzeugen und mitnörgeln. Und sollte tatsächlich wider alle Expertenprognosen Hertha BSC Meister werden, dann wird es heißen: »Hätten die Pfeifen nicht so grottenschlecht gespielt, wären es fünf Punkte mehr gewesen.«

Zum Glück aber haben Verhaltensforscher längst herausgefunden: Das Meckern ist die stammesspezifische Art der Berliner, unverhohlene Freude zu zeigen.