Historischer Augenblick war viel zu schnell vorbei

Lindsey Van (USA) ist erste Skisprung-Weltmeisterin / Klingenthalerin Ulrike Gräßler gewinnt bei der Premiere Silber

Sie wusste nicht so recht, sollte sie sich nun freuen über Silber oder hadern mit der verpassten Goldmedaille beim historischen ersten WM-Skispringen der Frauen?

Als Führende nach 93,5 Metern im ersten Durchgang hatte die 21-jährige Ulrike Gräßler vom VSC Klingenthal gestern auf dem Balken gesessen. Sie war die letzte Starterin im zweiten Wertungsdurchgang auf der Liberecer Normalschanze. Ein guter Sprung – und sie wäre Weltmeisterin.

Lange wartete ihr Trainer mit seinem Zeichen zum Start, so dass sie fast schon mit einer Windunterbrechung rechnete, da kam plötzlich doch das Zeichen: Los! Ulrike Gräßler atmete durch und drückte sich ab in die Spur, die an diesem Tag zeitweise so verschneit war, dass die langsamste Starterin beim Absprung vier km/h langsamer war als die schnellste. Ulrike Gräßler sprang kräftig ab und segelte durch das windige Schneetreiben am Jested. 93 Meter. Weit, aber nicht weit genug für Gold.

Als sie im Auslauf ihre Ski abschnallte, jubelte eine andere schon: Lindsey Van (USA), die kurz zuvor auf 97 Meter gesegelt war. Die 24-jährige Amerikanerin hüpfte wie wild umher, alle Kontrahentinnen umarmten sie, auch Ulrike Gräßler, die mit 239,0 Punkten Silber gewonnen hatte. »Es ist fantastisch«, jubelte die Siegerin (243,0 Punkte). »Jetzt steht mein Name in den Geschichtsbüchern des Skisports.«

Gräßler stand ein paar Meter enfernt und lächelte hingegen etwas unentschlossen. Nach der Blumenzeremonie jedenfalls sah Gräßler, die beim SV Lok Eilenburg das Springen erlernte, die Sache schon deutlich positiv: »Es gab ja nur drei Medaillen zu vergeben, eine davon habe ich jetzt. Ich bin Vizeweltmeisterin.« Ihr sei der historische Wettbewerb viel zu schnell zu Ende gegangen. »Da haben wir so lange drauf gewartet, und nun ist es schon wieder vorbei«, sagte sie, als das erste WM-Skispringen mit 36 Frauen beendet war.

1924 gab es die ersten Ski-WM. Schon damals wagten sich einige Frauen auf die Schanzen, doch es dauerte 85 Jahre, ehe die Frauen gestern erstmals eine Titelträgerin ermittelten. 1994 durfte in Lillehammer die Norwegerin Eva Ganster als erste weibliche Vorspringerin auf eine Olympiaschanze. 1998 installierte der Ski-Weltverband FIS eine Grand-Prix-Serie, und seither gibt es regelmäßige internationale Wettkämpfe. Laut FIS sind es weltweit 83 Frauen aus 14 Ländern, die auf dem Elitelevel springen.

Doch auch im Jahr 2009 ist wieder debattiert worden: Ist der Spezialsprunglauf womöglich doch zu gefährlich für Frauen? Wieso sagte der FIS-Präsident Gian Franco Kasper (Schweiz) noch 2006, Skispringen hinterließe gesundheitliche Schäden bei Frauen, aber nicht bei Männern? Chauvinismus? Zumindest waren beim WM-Training in Liberec zwei Tschechinnen, 12 und 15 Jahre jung, recht heftig gestürzt. Beleg für ein erhöhtes Risiko? Sind die Athletinnen in dieser jungen Sportart vielleicht einfach zu jung? Braucht es vorerst ein Alterslimit?

»Ich hoffe, alle Zuschauer haben gesehen, dass es heute wirklich schwere Bedingungen waren«, meinte die Vizeweltmeisterin. »Der Wind und der viele Schnee in der Spur – 89 km/h im Anlauf sind wirklich nicht die Welt für uns.«

Lob gab es jedenfalls von FIS-Renndirektor Walter Hofer: »Die Frauen haben sich auf dieser selektiven Schanze hervorragend geschlagen. Das Problem mit dem Alter wird sich mit der Zeit von selbst lösen.« Ob das Frauenspringen im WM-Programm bleibt? »Davon gehe ich aus«, so Hofer.

Frauen, Skispringen (Normalschanze): 1. Van (USA) 243,0 Punkte (89,0/97,5 m), 2. Gräßler (Klingenthal) 239,0 (93,5/93,0), 3. Sagen (Nor) 238,5 (93,5/94,0), 4. Iraschko (Öst) 228,0 (89,0/91,0), 5. Mattel (Fra) 220,5 (90,0/87,5), 6. Jerome (USA) 207,0 (80,5/91,0), 7. Schnurr (Baiersbronn) 205,0 (89,0/81,5), 8. Häfele (Willingen) 204,5 (88,5/82,5).

WM am Wochenende
Sonnabend: 13.00 Uhr Langlauf Doppelverfolgung Frauen. 14.30 Uhr Skispringen Männer Normalschanze (Qualifikation). 16.00 Uhr Skispringen Männer Normalschanze.

Sonntag: 9.45 Uhr Nordische Kombination Einzel Springen. 13.00 Uhr Langlauf, Doppelverfolgung Männer. 15.15 Uhr Nordische Kombination 10-km-Lauf.

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