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Unendliche Kleinarbeit

Nadeshda Krupskaja – mehr als nur Lenins Frau

  • Cristina Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie ist eine der bekanntesten Frauen der Welt, und doch ist es schwierig, sich ein realistisches Bild von ihr zu machen. Ihre in der DDR erschienene Biografie war eine Übersetzung einer 1975 veröffentlichten, von einem Autorenkollektiv verfassten sowjetischen Abhandlung, in der Stalin nur ein einziges Mal erwähnt wird.

Clara Zetkin hatte 1929 für die »Internationale Presse-Korrespondenz« eine mehrseitige Eloge auf ihre Freundin geschrieben, die sich nicht gerade durch Detailfreude auszeichnet (»Sie ist die Verkörperung der opferfreudigen Hingabe ...«). Krupskaja hat es ihrer Mitwelt in ihrer zurückhaltenden Art wohl oft schwer gemacht, ihr Inneres zu ergründen. Sie soll sogar Lenins Heiratsantrag mit dem lakonischen Satz beschieden haben: »Na gut, dann werde ich eben deine Frau.«

Am 26. Februar 1869 (vor 140 Jahren) als Tochter eines adligen Offiziers und einer Lehrerin in Sankt Petersburg geboren, war Nadeshda K. Krupskaja, genannt Nadja, in sehr bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Dennoch konnte das hochintelligente und fleißige Mädchen das Gymnasium besuchen und absolvierte im Anschluss eine Ausbildung zur Lehrerin. Von marxistischen Zirkeln angezogen, lernte sie 1894 Wladimir Iljitsch Uljanow kennen. Beide wurden bald wegen ihrer revolutionären Tätigkeit verhaftet und verurteilt, Krupskaja folgte dem verehrten Mann in die Verbannung nach Schuschenskoje, wo sie heirateten. Ihre Mutter, zweifellos ebenfalls eine ungewöhnliche Frau, begleitete sie nach Sibirien und später in die Emigration.

In Schuschenskoje stellte sie die Schrift »Die arbeitende Frau« fertig, die 1901 in München gedruckt wurde und in der sie, ähnlich wie Bebel, die Befreiung der Frau durch den Sozialismus propagierte. Später, als im Münchner Exil die Zeitschrift »Iskra« gegründet wurde, ersetzte sie ein ganzes Sekretariat und ein Organisationsbüro. Sie übernahm die gesamte Korrespondenz, die für den Aufbau der revolutionären Bewegung in Russland geführt werden musste. Ihre Sprachkenntnisse – sie beherrschte Deutsch, Französisch, Englisch und Polnisch – erwiesen sich im langjährigen Exil in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Polen als unverzichtbar.

Die Oktoberrevolution in Russland bedeutete dann für sie die Erfüllung all ihrer Hoffnungen. »Ich war Zeugin der größten Revolution der Welt«, schrieb sie später. Ihre ständige enge Zusammenarbeit mit Lenin endete damit jedoch – aus organisatorischen Gründen. Überdies war ihre Ehe kinderlos geblieben. Viel wurde über Lenins Beziehung zu Inès Armand spekuliert. Tatsache ist, dass er Armands Schwärmerei von »freier Liebe« ablehnte. Fakt ist auch, dass Krupskaja und Armand Freundinnen waren und blieben. Die in ihrer Jugend hübsche und aparte Nadja war seit etwa 1917 von entstellenden Krankheiten wie Morbus Basedow und zunehmend auch von Erschöpfung gezeichnet. Trotzdem arbeitete sie weiterhin unermüdlich. Sie baute das sowjetische Schulwesen mit auf und kämpfte für die Beseitigung des Analphabetismus. Sie war im Volkskommissariat für Volksbildung tätig, Lunatscharski lobte sie als die »Seele seines Ministeriums«.

Der Tod ihres Gefährten im Jahr 1924 war ein schwerer Schlag für sie. Sie bat darum, nicht »in äußerliche Verehrung Lenins zu verfallen«, ihm keine Denkmale zu setzen und keine Paläste nach ihm zu benennen. Sie schrieb ihre »Erinnerungen an Lenin« nieder, die Kurt Tucholsky in einer Rezension für die »Weltbühne«, »so lehrreich« fand, weil sie »die unendliche Kleinarbeit« aufzeigten, »in der dieser russische Umsturz vorbereitet worden ist«. Über sich selbst berichtete Krupskaja wenig, obwohl sie es war, die an Lenins Seite einen Großteil der »Kleinarbeit« geleistet hatte.

Ihr Verhältnis zu Stalin war belastet. Sie beklagte sich bereits 1922 in einem Brief an Kamenew über sein rüdes Betragen und bat darum, sie »vor grober Einmischung in mein persönliches Leben zu schützen, vor unwürdigen Beschimpfungen und Drohungen«. Stalin wiederum beschimpfte sie 1925 als »Spalterin« der Partei. Wie Chruschtschow in seinen Memoiren berichtet, soll er sogar mehr oder weniger scherzhaft gedroht haben, wenn sie sich nicht opportun verhalte, werde man eine andere Frau zu Lenins Witwe ernennen. Dennoch erhielt sie 1929 den Posten des stellvertretenden Volksbildungskommissars. Seit 1927 Mitglied des ZK der KPdSU, wurde sie mit dem Lenin-orden und dem »Roten Arbeiterbanner« ausgezeichnet.

Nadeshda Krupskaja starb unerwartet am 27. Februar 1939 (vor 70 Jahren) in Moskau. Gerüchte kursierten, sie sei von Stalin vergiftet worden. Die in der DDR erschienene Biografie schweigt über die Umstände ihres Todes, und eine in englischer Sprache veröffentlichte sowjetische von 1969 lässt den 23. Februar als ihren Todestag erscheinen. Dass sie vom 24. bis 27. Februar qualvoll an einer zu spät diagnostizierten Blinddarmentzündung starb, ist heute in russischen Internetbeiträgen zu lesen. Ihre sterblichen Überreste wurden an der Kremlmauer beigesetzt.

Die sowjetische Ausgabe ihrer Werke umfasst elf Bände, vor allem mit pädagogischen Schriften. In der DDR erschien eine Auswahl von vier Bänden.

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